Genuss-Moppelchen im Anorexia-Paradies

Bevor man mir Böses unterstellt – nein, ich habe kein Problem mit Hungerhaken und ja, ich gestehe, leichte Adipositas ziert auch meinen Bereich zwischen Femur und Sternum. Bevor nun der liebe Kollege, mit dem ich mein Büro teile, auf mich verbal einprügelt (ich predige schließlich die Aussparung der Fremdwörter), ich korrigiere: Zwischen Oberschenkelknochen und Brustbein hat sich ein wenig zu viel Hüftgold angesammelt und das macht mir seit geraumer Zeit zu schaffen. Das schienen die besten Voraussetzungen für einen Frankreich-Urlaub. Leichte Küche, Obst, Gemüse, Meeresfrüchte, Fisch … auf geht´s!

Zwölf Tage wurde das westliche Franzosenland entdeckt, auf eigene Faust. Merci, s’il vous plaît und je voudrais (bitte, danke und ich möchte) müssen für´s Erste reichen. Mehr Französisch (gesprochen) war zunächst nicht drin. Mit Englisch durchs Land zu kommen war übrigens ein Versuch für die Katz. Denn dort erfährt man, warum die Franzosen den Urlaub im eigenen Land vorziehen: woanders können sie sich nicht verständigen. Das gesprochene Englisch der Franzosen war ungefähr genauso mies wie meine drei Französisch-Phrasen. Den Mut einer erfahrenen Reisenden scherte das herzlich wenig. Ich hab mich schon ganz woanders mit Lächeln und Wörterbuch durchgeschlagen. Außerdem war das Ziel klar: kulinarisch, kulturgesegnet und mit kalenderblatttauglichen Küsten sollte der Urlaub trumpfen.

Kultur findet man in der Bretagne satt. Was für ein stolzes Volk! Richtig zickig werden die Bretonen übrigens, wenn es um ihre Sprache geht. Hinweisschilder sind zumeist zweisprachig und wehe, es wurde auf einem Hinweis-Schild vergessen. Da versteht der Bretone keinen Spaß und schreibt es in seiner keltischen Sprache mit Filzstift drunter. Was eigentlich auch wieder für die Katz ist, denn Hinweis- und Verkehrsschilder scheinen in dieser Region eher empfehlenden Charakter zu haben. Ich zumindest muss mir hierzulande wieder angewöhnen, dass rote Ampeln, Verbotsschilder und Verkehrszeichen durchaus als solche zu verstehen sind. Wer Musikveranstaltungen am späten Abend in historischer Stadtkulisse liebt, kommt im Sommer ganz auf seine Kosten. Und die Kenner kriegstreibender und kriegsgetriebener Geschichte finden ein wahres Auskunfts-, Angriffs- und Verteidigungsarsenal in der Bretagne vor. Museen und Kriegsgräber sind nun nicht ganz mein Fetisch. Aber an der Küste herumkraxeln, das liebe ich! Und da offenbaren sich einem an jedem Eckchen und Endchen schauderhafte Plätze. Deutsche Sicherheitsfanatiker hätten wohl die ganze Küste auf 2800 Kilometern Länge gesperrt – Einsturzgefahr, militärischer Sicherheitsbereich und so ein Zeugs. Gelassene Bretonen ließen Neugierige auf und in solchen Bunkeranlagen herumklettern:

und so lange bis zur Absturzkante tappen, bis ein schnödes Schild mit stolperndem Männchen daran erinnerte, dass den Klippenspringer nur noch Millimeter vom 70-Meter-Abgrund trennen. Noch nie sah ich auf so wenigen Quadratkilometern so viele Bunker, Verteidigungsanlagen und Trutzburgen aus Vergangenheit und Neuzeit. Neuzeit? Ja, der Hafen von Brest beherbergt eine Marinebasis und neugierige Blicke durch meterhohe Zäune erspähen Flugzeug- und Hubschrauberträgerbasen, U-Boot-Parkplätze und allerlei Kriegstreiberspielzeug. Gerüchten zufolge würde bereits die Einsparung von 1 % der weltweiten Militärausgaben den Hunger der Welt stoppen. Bevor ich gleich aus meiner Nachurlaubschilllaune herausplumpse, denke ich lieber wieder an diese atemberaubend schöne Küste …

Während Deutschland unter schwülen und knappen 40 Grad litt, verwöhnte die bretonische Küste mit mittleren 25 Grad, 18 Grad Planschtemperatur und angenehmsten Klima. Traumhaft schöne Strände, für deren Karibik-Status eigentlich nur die Palmen fehlten, herrliche Klippen, verträumte Buchten. Hier ließ es sich wunderbar baden:

Unzählige Fotomotive. 909 Bilder digital und 15 analog sind die Ausbeute. Wer glaubt, sich im Juli im Massentourismus zu tummeln, der irrt! Nur ein paar Kilometer Fahrt, ein paar Schritte ins Ungewisse und irgendwo im Nirgendwo taucht eine kleine, niedliche Bucht auf, die förmlich dazu einlädt, die Füße ins Wasser zu halten, die Picknickdecke auszubreiten.

Der aufmerksame Leser, der bis hier durchhielt, wird sich nun fragen, warum ich einen solchen Einstieg wählte … Ich liebe gutes Essen, ein Glas Wein, das Außergewöhnliche, Besondere. Kalorienfreie Genüsse kulinarischer Art sind selten lecker. Und so landen Genüsse halt schon mal auf der Hüfte. Irgendwie habe ich mir das im Urlaub etwas anders vorgestellt: Ich schlemme leicht-lecker-luftige französische Küche und schau dann aus wie eine klassische Französin. Frei von Neid muss ich als Frau eines gestehen: Die Mädels vor Ort sind eine Augenweide! Sehr schlank, geschmackvoll gekleidet, stylisch vom Pfennigabsatz bis zur Wimperntusche. Abgefärbt hat davon nicht allzu viel und der Blick auf Details war mitunter erschreckend: Manche zarte Elfe war nicht mehr zart, sondern rappeldürr. Nicht wenige Jungs um die 20 sahen halbverhungert aus. Ich sah dürre Ärmchen mit völlig zeritzter Haut. Selbst die Schaufensterfiguren schienen einen BMI zwischen 10 und 15 zu haben. Die kleinste Kleidergröße wurde rückseitig mit Klebestreifen gerafft und das Beweisfoto dafür, dass Anorexie schick sein soll, lieferte diese Plastehand im Schaufenster:

Dennoch, ich will bloß nicht motzen, denn mein Vorsatz, schlanke Küche zu genießen hielt zwar an, wurde von meiner Waage aber nur unzureichend honoriert. Fisch und Meeresfrüchte liebe ich und deswegen passt die Bretagne zu mir wie Deckel auf Topf. Frische Austern direkt nach der Ernte auf der Mole von Cancale geschlürft, Jakobsmuschel-Carpaccio mit Limetten-Basilikum-Pesto im Les Littorines in Portsall oder Seeteufel auf Gemüsebett im La Balafon in Dinard, Wellhornschnecken, Schokoladentarte, Krabben mit Holzhammer zum Am-Tisch-Zertrümmern … ich gestehe, mir läuft im bloßen Gedanken daran das Wasser im Munde zusammen. Genießen wird leicht gemacht. Die Auswahl und Qualität der kulinarischen Höchstgenüsse verzückte mich. Und selbst wenn es nicht hochedelteuer war, was es überhaupt nicht für den wahren Genuss braucht – eiskalter Cidre, ein frisches Baguette, Käse, Jakobsmuscheln in Öl, bretonischer Kuchen und ein Picknickplatz mit Meerblick – noch heute gänsehautschön …

Ach ja, Bretagne: Ich komme wieder

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