Saudi-Arabien. 30 Tage. 5000km. Alleine. Ein Land zwischen Tradition und Moderne

Vor genau drei Monaten startete ich die anspruchsvollste, genialste, schwierigste, wunderschönste Zeit meines Lebens. Ausgerechnet mit Saudi.

Warum Saudi?

Saudi ist vermutlich eines der letzten Länder, das man noch wirklich entdecken kann. Nach Nordkorea. Die touristische Infrastruktur des Landes ist in Teilen in den Kinderschuhen und mehrheitlich noch nicht mal in den Babysöckchen. Der Norden, Jeddah und Riyadh sind gut erschlossen. Die Menschen an Reisende gewöhnt. Zumindest mit nichtweiblichen Reisenden vertraut, aber darauf komme ich später noch zurück. Denn in einem Land, das 6x so groß ist wie Deutschland bei gerade mal 35 Millionen Einwohnern ist alles so anders. Auch, wenn man bedenkt, dass sich Saudi gerade mal 4 Jahre für die Welt öffnete. Nicht ganz freiwillig. Denn der Reichtum durch Öl ist endlich und man braucht Perspektiven. Dubai machte es vor: Business und Tourismus sind geldsichere Alternativen. Diesen Weg geht Saudi. Mit atemberaubenden Landschaften, Sehenswürdigkeiten und dem Zauber des Unbekannten. DAS wollte ich. Und mehr. Also buchte ich. Einen Flug und dank Couchsurfing fand ich meine erste Unterkunft in Jeddah bei Aisha (*alle Namen wurden auf Wunsch geändert). Einer jungen und unendlich bezaubernden Frau aus Jeddah.

Ankunft in Jeddah

So landete ich also Anfang November 2022 in Riyadh. Der Flieger landet mit 20 Minuten Verspätung. Genau meine Pufferzeit und es kam, wie es kommen musste – Flug verpasst. Visa on Arival dauert, als die Saudis erfahren, dass ich einen Anschlussflug habe, werde ich durchgeschleust und schneller abgefertigt. Immer noch sind viele Frau bis auf die Augen tief verschleiert. Aber ich sehe immer wieder ein Lächeln in den Augen. Trotzdem Unwohlsein. Ich versuche, nicht in die Augen zu schauen, auch, wenn ich weiß, dass es Blödsinn ist. Brauche ewig zum Umbuchen. Die Saudis sind auf den ersten Blick wenig hilfreich. Ein junger Inder spricht mich an und fragt, was los ist. Auch er verpasst seinen Flug und wir schlagen uns gemeinsam durch. Endlich ein Ticket. Gepäckaufgabe – mein Handgepäck ist FlyaDeal zu viel. Zeit fürs Internet. 40 GB für 30 Tage. Sollte reichen. Hoffentlich.

Ankunft in Jeddah. Müde. Meine erste App-Taxi-Fahrt mit Careem ist super. Der Fahrer übt mit mir Arabisch und lacht sich schlapp über meine Versuche, ein CH aus den Untiefen des Halses zu zaubern und freut sich sichtlich, dass ich es lernen will. Fertig. Unfähig, klar zu denken. Aber der erste Eindruck ist sehr warm und herzlich. Jose und Aisha. Ein beeindruckendes Paar. Spanisch-Arabisch-Sudanesisch. Leben in einer 3-Zimmer-Wohnung in einem Compound in Jeddah. Guter Standard würde der Deutsche sagen. Sehr große Anlage, viele Pools, Sicherheit kurz vor Airport-Niveau.

Compound in Jeddah

Saudis sind hier unerwünscht. Man bewegt sich frei und wie in Europa. Es gibt allerdings auch Europäer und Amerikaner, die leben nur hier und würden den Compound außer zum Arbeiten nie verlassen. Sehr schade, denn:

Spanisch-sudanesisch-deutsches Leben in Jeddah

Gegen 9 sind wir halbwegs wach und ausgeschlafen. Nach einem Kaffee fit für den Tag – die beiden frühstücken auch nicht, so geht es schnell los. Ins alte Jeddah. An einem Freitag. Zur wichtigsten Gebetszeit. Der ideale Moment, um in Ruhe die Stadt zu erkunden. Niemand ist da und das alte Jeddah lässt ehemaligen Reichtum und wunderschöne Ecken erahnen. Überall Baustellen und Schilder mit dem Hinweis, dass restauriert wird. Zum Glück – der Schatz lässt sich erahnen, man muss in 5-10 Jahren wiederkommen, um die wundervollen alten Bauten mit ihren Balkonen zu sehen.

Zu dritt ziehen wir um die Häuser. Rappeldürre Kätzchen, ein paar alte Männer sitzen auf den Randsteinen. Wir fotografieren und lachen uns schlapp: Tauschen unsere Vorurteile über die Länder der Welt aus. Über humorlose Deutsche, Flüchtlinge aus dem Sudan und Machos in Spanien. Sehr schnell werden wir entspannt miteinander. Teilen die Leidenschaft fürs Fotografieren. Streetart. Kleine Fahrt an der Küste, kurz auf den Fischmarkt, ein eiskalter grüner Zuckerrohrsaft (mega!) und die Suche nach dem Lunch gestaltet sich anspruchsvoll: Nach dem Freitagsgebet kommen gefühlt alle saudischen Familien auf die gleiche Idee. So fällt die leckere Wahl auf einen Libanesen. Hummus, Salat, Shawarma (hier ein Wrap), Fladenbrot und das Geständnis, dass die beiden sonst von einem Teller essen und wegen mir grad anständig sind. Na toll. Nicht nötig. Es ist heiß (für mich okay). Einkaufen. Wie in jedem Supermarkt der Welt. Nur … nahezu ohne Frauen. Jose muss arbeiten. Aisha und ich sind platt. Siesta. Zwei Stunden Pause, bevor es an die Corniche geht.

Mit Careem, dem örtlichen Taxi, einfach und günstig per App. 70 Prozent der Picknicker sind laut Aisha Zugereiste, Ausländer. Ich hätte sie alle irgendwie als Araber erkannt. Frauen verschleiert, Männer in ihren langen weißen Gewändern. Aber Aisha erkennt die Dialekte und feinen Unterschiede in der Kleidung: Ägypter, Pakistani, Inder. Nahezu keine Europäer und doch fühle ich mich nicht fremd. Immer wieder und wieder ein Lächeln der Frauen. Tut gut. Wir verabreden uns mit zwei weiteren Couchsurfern und ihrem Guide. Schwatzen endlos an der Corniche und der Guide bringt uns schließlich in sein Lieblingskaffee. Seeeehr lecker und tolle Gespräche. Nochmal quer durch die Stadt ins Compound. Aisha und ich reden bis tief in die Nacht. Ich bin erschüttert über ihr Schicksal. Über das, was Mädchen in diesem Land durch Verstümmelung angetan wird, sie leiden den Rest ihres Lebens, haben massive Probleme, die Details erspare ich euch, bei mir flossen die Tränen. Über Verstoßung – aus dem Land, der Familie, von allen Freunden, wenn sich eine Sudanesin für die Liebe entscheidet und diese Liebe ist keine arrangierte Ehe. Ich kann nicht verstehen, warum Eltern nicht glücklich sein können, wenn ihr Kind SO geliebt wird und glücklich ist. Aisha ist gnadenlos. Offen. Ehrlich. „Man kann nicht glücklich sein, wenn es die Familie nicht ist“, ich kämpfe erfolglos gegen die Tränen. Muss ich erst mal verdauen.

Die Wüste. Meine Leidenschaft

Tauchen steht auf dem Plan. Das wird erst mal nichts. Jose arbeitet in Schicht, die Nacht war kurz. Wir verschieben und hängen erst mal bis zu einer Entscheidung auf dem Sofa ab. Museum, Stadt, Wüste. Wohin? Gegen 11 fällt die Entscheidung fürs Museum. Um 12 macht es zu. Haha. Also Wüste. Was sowieso die bessere Idee ist. 40 spanisch-arabisch-sudanesische Fahrminuten dauern doppelt so lange. Nicht wegen des Staus, eher wegen des falschen Zeitgefühls. Es geht Richtung Norden ins Nirgendwo. Die Stimmung ist sehr ausgelassen. Aisha singt Liebeserklärungen für Jose und der arme Kerl weiß nicht, obs ihm peinlich ist. Ich finde es einfach nur herzig und unendlich schön. Nach einer Stunde landen wir irgendwo kurz vor der Wüste und wissen nicht weiter. Und auch im irgendwo im Nirgendwo kommt immer irgendwo ein Saudi her. Neugierig hält er an und fragt, was drei offensichtliche Nicht-Lokals hier anstellen. Man will der Frau aus Alemania die Wüste zeigen. Und es kommt, wie es kommen muss – wir besichtigen erst mal seine Farm, ein paar Schafe, Ziegen, Hühner, Tauben, ein Hund und die Frage – warum sind die Saudi in diesem ganzen Staub immer so glänzend weiß angezogen. Kein Staubkorn, kein Dreckfleckchen, nichts. Ich schaffe das nicht mal einen halben Tag, manchmal nicht mal ne Stunde. Der Saudi eskortiert uns schließlich noch bis zur nächsten Düne und düst davon, nicht ohne zu betonen, dass wir jederzeit willkommen sind. Wie drei Kinder toben wir durch den Sand. Fotografieren und genießen eine schier abartige Hitze. Jedes Sandkorn, dass auf den offenen Schuhen landet, verbrennt mir die Haut.

Auf dem Rückweg Stop in einem lokalen Restaurant. Für lokale Arbeiter, vor allem Pakistani essen hier und Jose ist besorgt, ob wir diese Blicke aushalten. Klar… zu zweit kein Problem, wir lachen, kichern, fallen auf. Vermutlich nicht nur positiv. Egal, Frauen dürfen lachen. Und wir lachen viel.

Kurzer Stop auf einen Eiskaffee und ab zur Corniche. Treffen mit Radik aus Polen, Bena aus den Philipinen, Tariq aus Pakistan und ein deutscher Nikolas. Schwatzen und Einladung zu Aisha zum Essen. Eine Verletzung der pakistanischen Ehre offenbahrt die feinen kulturellen Unterschiede. Ein Pakistani lässt sich nicht von einer Sudanesin zu sich nach Hause zum Essen einladen und lädt dafür seinen Couchsurfer aus. So landet Nikolas auch noch auf unserer Couch. Nicht einfach… Die Nacht wird kurz, gegen 1 ins Bett, wenig Schlaf. Morgen steht tauchen auf dem Plan:

Unter Wasser, ein Traum wird war und ist doch nicht so prickelnd

La Plaje. Tauchspot für Jeddah. Ein kleines Luxusresort. Ausschließlich für Ausländer, damit Saudis nicht zum Nackte-Haut-Gucken kommen. Ich erwartete mehr und wurde auch noch enttäuscht. Wer einmal in Ägypten tauchen war, ist verwöhnt: Super Service, herzlicher Empfang, Hilfe beim Leihequipment, Check-Dive, Guide… In Saudi-Arabien: NICHTS. Der „Boy“ sitzt am Handy, sitzt am Handy, sitzt am Handy. Wir müssen ALLES selber irgendwie aus den Regalen holen, anprobieren und beim Vorbeilaufen mit 15kg auf dem Rücken zieht die faule Socke nicht mal die Beine ein. Was soll das? So sammeln wir unseren Kram zusammen und ich erwartete zumindest einer Einführung ins Riff. Auch nichts. Wohl ist mir gar nicht. Zum Glück kennt Jose den Spot und ich reklamiere erst mal meine leere Flasche. Mit neuer Pulle gehts ins Wasser. Ich komme superschnell an, tauche deutlich entspannter als sonst nach Pause und meine Ohren spielen gut mit. Aisha ist total glücklich, taucht sich regelrecht frei und feiert den Tag. Wir beschließen, uns in Ägypten zum Tauchen zu verabreden. Noch ein Tauchgang, viel schwatzen, so langsam werden wir auch zu viert warm, auch, wenn Nikolas und ich wohl nie recht miteinander können. Mein schlechtes Bauchgefühl sollte recht behalten. Wir wollten zusammen trampen. In den Süden fahren. Ich bin hin und her gerissen. Zurück im Compound wird erst mal ein sehr lange Siesta fällig. Abendessen.

Erstes Fazit: Der Unterschied zwischen Business und Traveller ist gravierend. Vor drei Jahren fühlte ich mich durchaus ernster genommen. Mit Rucksack bin ich ganz klar eine andere Kategorie. Man nimmt mich neugierig wahr. Vor allem Frauen freuen sich sichtlich über ein Lächeln. Im Bad sieht man sie unverhüllt und die Eleganz, die arabische Frauen häufig verhüllt schon erahnen lassen, ist unverhüllt mehr als faszinierend. Was für wunderschöne Frauen! Aisha strahlt als Sudanesin eine Anmut aus, die mich unendlich berührt. Als Mann wäre ich wohl schockverliebt. Sie läuft unverschleiert herum und wird dafür natürlich besonders beachtet. Da wir englisch reden, ist das kein Problem und ich erfahre, dass auch arabische Frauen in der Öffentlichkeit untereinander englisch reden, damit niemand fragt, woher sie kommen, ob sie sich vielleicht nicht schämen. In den eigenen vier Wänden erfahre ich dafür eine Offenheit und Intimität, die mich zu Tränen rührt. Zu intim, um es zu schreiben. Aber ich stelle fest:

In Europa leben wir offen, tolerant und voller scheinbarer Akzeptanz. In den eigenen vier Wänden verschlossen. Hier erlebe ich eine unglaublich verschlossene Öffentlichkeit und eine faszinierend offene Privatsphäre…

Couchsurfer. Schmarotzer. Peinlichkeiten.

Nach einer schlaflosen Nacht fällt es mir schwer, offen und ehrlich zu sein. Bei Aisha hat sich ein Schmarotzer eingenistet. Ein Couchsurfer. Nikolas, eigentlich trafen wir ihn nur an der Corniche mit anderen Reisenden, wollten ein bisschen abhängen, Hangout in der Couchsurfersprache. Aber Nikolas ist der Inbegriff eine kulturellen Trampels und hat es tatsächlich geschafft, seinen pakistanischen Host so vor den Kopf zu schlagen, dass er ohne Unterkunft dasteht und Aisha erbarmte sich. Sehr zu meinem Leidwesen. Nun hängt er an uns wie ein Klette und schnorrt sich durch. Arabische Gastfreundschaft erlaubt kein nein. Ein arabisches Nein ist ein maybe. Ein Deutscher versteht es nur schwer. Ein Nikolas offenbar gar nicht. Schamlos fordert er. Hält die Hand auf. Denkt nur an sich. Gespräche mit ihm führen ins Leere. Sollen die Leute doch einfach NEIN sagen, er kann das doch auch. Sollte er mal lieber nein sagen, wenn er seit Jahren, vermutlich Jahrzehnten deutsche Stütze kassiert und davon super low budget um die Welt reist: Trampt wie ein räudiger Straßenpenner und hat nicht mal ein schlechtes Gewissen, wenn ihm Saudi aus Mitleid sogar Geld geben, ihn zum Essen einladen, er bei ihnen auf der Couch landet. Ich schäme mich für ihn und will ihn einfach nur endlich und so schnell wie möglich loswerden. Die arabische Gastfreundschaft kennt kaum Grenzen, auch wenn ich die Trauer und das Entsetzen über so viel Unverschämtheit fühle, in den Augen sehe. Man zieht es durch, bis man den Schmarotzer endlich los ist. Aber das Karma wird es regeln. Inshallah. So weit zum kurzen Ausflug in die Schattenseiten des Couchsurfens. Zurück zum Reisen:

Shada Mountains

Noch zu viert fahren wir in die Shada Mountains. Ursprünglicher Plan: Camping. Zunächst erobern wir unglaublich riesige Steinformationen, klettern, genießen atemberaubende Ausblicke und den Sonnenuntergang.

Der Weg in die Region führt durch ein kleines Resort mit ein paar Zimmer in Höhlen eingefasst. Spontan beschließen wir zu fragen, ob wir hier bleiben können. Für 500 Rial (125 Euro) inkl Abendessen und Frühstück dürfen wir zu viert hier bleiben.

Der Schmarotzer handelt noch auf 400 Rial runter, ich schäme mich erneut. Versuche Distanz zu finden und kann endlich einen Freudentanz hinlegen. Denn diese Landschaft ist atemberaubend, die Aublicke wunderbar. Nebel zieht über die Berge. Es wird kalt und ich bin heilfroh, eine große Ladung warmer Klamotten im Rucksack zu finden. Leider zieht eine Erkältung durch meinen Körper. Ich bin verschnupft, vielleicht habe ich auch nur die Nase voll. Trotzdem: ich will und werde es genießen.

Thee Ain Village

Die Sonne geht noch nicht mal auf, eine schlaflose Nacht quält mich aus dem Bett. Ich sitze auf arabischen Polstern und ahne den Blick ins Tal. Leise schleicht der pakistanische Koch durch Resort, als ob er auf mich wartete… Fragt, ob ich Kaffee und Datteln möchte. Ich bin unendlich gerührt und er hat vermutlich das Bedürfnis, sich bei mir für das gestrige heimliche Trinkgeld zu bedanken, das ich ihm gab… Stunden habe ich den anbrechenden Tag ganz alleine für mich. Ich genieße die Zeit, die Ruhe. Denke zurück an eine unfassbar schöne Zeit und kämpfe wieder mal mit den Tränen. Glückstränchen der Dankbarkeit. Trauertränchen in Gedanken an den bevorstehenden Abschied und ein bisschen Wut. Auf den Schmarotzer. Zeit zum Abschied von Shada Mountain. Auf nach Thee Ain Village.

Schon der Blick auf Thee Ain Village ist atemberaubend. Alles in einem schreit Stop beim Blick auf dieses Dorf aus dem Auto. Aussteigen und erahnen: Hier ist Potential, aber ein gewaltiges, für Tourismus, für Massen. Noch sind wir ganz alleine hier. Die Infrastruktur steht. Versorgung, WC, Eintrittshäuschen… nicht für uns, wir tappen einfach los und kommen keine 50m. Ein Farmer sammelt uns auf und möchte uns unbedingt seine Plantage zeigen. Wünsche abzuschlagen – das geht hier nicht. Zum Glück. Denn seiner Familie gehört das ganze Areal und er plaudert. Nein redet. Saudis plaudern eher nicht, sie wirken (bis jetzt) ruhig, bescheiden, überlegt, versteckter Humor. Hier werden die alten Dörfer entvölkert oder entvölkern sich selber. Tradition ist es, neben einem alten Haus sich sein neues Haus zu bauen. Restauration gibt es kaum. Das alte verfällt einfach. Zu schade. Die saudische Regierung übernimmt für diese alten Häuser die Verantwortung, renoviert, erhält sie. Die alten Eigentumsrechte bleiben erhalten. Eine großzügige Art, solche Schätze zu sichern. Wie in Thee Ain. Unser Farmer zeigt voller Stolz seine Pflanzen, davon leben kann er nicht, aber er wird unterstützt… Affen jagen durch die Plantage und werden selber gejagt, von Steinen… um die leckeren Bananen zu schützen. Nach einem Tee geht es durch die Gassen von Thee Ain. Unzählige Stufen auf und ab. Man kann einfach in die verlassenen und teilrenovierten Häuser gehen, auf die Terrassen, den Ausblick genießen, bei ca. 35 Grad. Niemand ist hier. Unfassbar.

Auf dem Rückweg zum Auto erleben wir ein Schauspiel vom Feinsten. Ca. 30 Luxuskarren rollen vor und spucken um die 50 Megagroßkopferte aus. 3 Frauen unter ihnen. Eines der Kennzeichen verrät: Mitglied der könglichen Familie. Holla die Waldfee. Ein bisschen andächtig steh ich da und fühl mich völlig deplaziert. Ein paar Männer aus der Delegation grüßen, winken und verschwinden in einem Gebäude. Die Polizei wacht mich Argusaugen über die Szenerie. Schmarotzer, Taktlosiker und Nikolas in einer Person versucht die Eskorte zu fotografieren, ein Fauxpas. Leider wurde er rechtzeitig gewarnt, ich wünschte, die Staatsgewalt hätte ihm mal deutlich die Leviten gelesen. Es waren Gesandte des Tourismusministeriums, die Presse, irgendwelche Royals. Gut, dass wir hier waren, bevor die Busladungen voller Touris hier anlanden.

Serpentinen schlängeln sich über 40km nach Al Baha. Auf der Karte ein Dorf, in der Realität eine große Stadt mit ca. 270.000 Einwohnern. Hinter Baha geht es zu einem kurzen Hiking in ein Wadi. Ein kleiner Flusslauf zwischen den Bergen. Grün. Wunderschöne Fotomotive. Nicht zu lange, es ist heiß. Außerdem wollen wir alle den Schmarotzer endlich loswerden. Liebäugeln mit dem Gedanken, ihn wie einen räudigen Hund am Straßenrand auszusetzen und lästern böse, weil wir nicht wissen, wohin mit unserem Frust. Wir bleiben fair. Zurück nach Baha.

Betrunken in Saudi

Dort treffe ich auf meine neue „Schwester“ Amaja. Ärztin aus Ägypten, sie bildet hier Ärzte aus. Der erste Blick – unscheinbar. Verschleiert. Fassade. Aber ein Strahlen in den Augen und wir werden ganz schnell warm. Hart verhandelt sie mit meinem Hotel und ich bekomme für 50 Euro ein schickes und gigantisches Zimmer.

Zeit für den Abschied. Die Tränen hören nicht auf zu kullern. Ich werde Aisha bald wiedersehen. Für ein großes, gemeinsames Geheimnis. Und doch heule ich auch jetzt beim Schreiben. Amaja und ein mir noch unbekannter Saudi stehen fassungslos und gerührt da und nehmen mich unter ihre Fittiche. Bevor ich denken kann, sitze ich in so einem saudischen Monsterding von Auto. Vor mir links ein Saudi in seinem klassischen Outfit. Auf dem Beifahrersitz Amaja. Nicht nur tief verschleiert, sondern komplett. Sogar die Augen unter einem Tuch. Ich bin verwirrt. Reden öffnet Türen. Khalid heißt der Saudi und quetscht mich aus, warum ich in diesem Land herumreise. Dubai ist viel besser. Nein danke, war ich schon. Ich komme ihm wohl reichtlich schräg vor. Aber nicht mehr lange. Ich schwärme ihm von meinen letzten Tagen vor, den Begegnungen, den Orten, zeige die Fotos und er meint nur: Ich habe kein Interesse an den Dingen, die ich so einfach haben kann und darf… ich frage, was er denn gerne hätte und die Antwort haut mich um: Whisky. JETZT haben sich zwei getroffen. Wir fachsimpeln in Saudi Arabien über Whisky und Wein, kurven durch die Stadt, in der allabendlich ein Naturschauspiel aufzieht. Nebel. Sicht unter 5m. Die Straße ist kaum zu erahnen. Der Moment surreal und dennoch zu steigern. Wir fahren zu Khalids Haus und Geheimnisse lüften sich. Khalid ist der Chef einer saudischen Bank, in einer anderen Stadt, sein Haus ist eine 1000qm-Villa auf riesigem Land, er gehört zu einem Clan. Und Amaja ist seine Freundin… nix mit Ehe, aber die Frage nach der VollstVerschleierung ist nun geklärt. Das Haus ist ehrlich gesagt schrecklich. Ein Raum ist größer als so manche Wohnung bei uns. Ich scherze, er könne sich eine eigene Moschee hier errichten. Die Antwort: Lieber eine Kirche, die beten wenigstens nicht den ganzen Tag. Immer noch weiß ich nicht, wie real diese Momente hier sind. Wie viel ist Spaß? Werde ich getestet. Zum Glück hält sich meine Neugier in Grenzen. Ich kann zuhören, stelle mal eine Frage. Der Schlüssel zum Öffnen von Türen. In der Küche weiß ich dann, dass das Thema Whisky ernst gemeint war: Eine selbstgebaute Destille für Whisky, große Kanister für Wein… ich bin sprachlos und wir stehen gemeinsam mitten im Irgendwo und trinken Wein.

Khalid, sinngemäß zitiert: „Es ist zu groß hier, man fühlt sich einsam. Ich habe für 10.000e Dollar ein Zelt für Gäste und du bist mein erster Gast in diesem Jahr. Ich möchte hier nicht mit Saudis trinken. Die wollen nur saufen. Ich will es genießen, da bin ich lieber alleine. Viele Saudis fliegen für ein paar Stunden in andere Emirate, um sich zu besaufen. Für Prostituierte. Kommen völlig betrunken zurück. In zehn Jahren wird hier alles anders sein. Heirate bloß nicht… Aber wenn du hier arbeiten möchtest oder einen Lover suchst, helfe ich dir gerne. Ich habe leider schon eine Freundin. Sonst würde ich dich fragen.“

Ein bisschen betrunken vom Glas Wein lande ich völlig irritiert in meinem Hotelbett und schlafe wie ein Baby. Wache mit einem gepflegten Kater am nächsten Morgen auf. Natürlicher Wein macht echt gaga. Und schmeckt auch nur sekundär besser als Tetrapack. Aber das Erlebnis, in der ersten Woche in einem Land, in dem Alkohol strengstens verboten ist, amüsiert mich endlos.

Gerade stelle ich fest, dass ich selbst nach einem Tag den Anschluss verliere, eigentlich ist Tag 6, aber laut Tagebuch Tag 7. Keine Ahnung. Die Ereignisse sind zu dicht, um sie am nächsten Tag wirklich komplett noch nachvollziehen zu können. Zwei Tage Tagebuchpause rächen sich…

8:30 Uhr bin ich mit Amaja auf ein Käffchen verabredet. 8:26 Uhr rattert das Telefon und ich werde abgeholt. Mit Khalid und Amaja geht es nochmal durch die Stadt, alles besichtigen, was gestern im Nebel lag.

Frühstück auf dem Markt einkaufen. Kurze Spaziergänge an Hotspots des Ausblicks. Einer wird unvergessen bleiben: Zwei Schaukeln stehen dort und Amaja und ich landen auf ihnen. Schaukeln wie zwei fünfjährige Mädchen, kichern. Khalid filmt uns und freut sich wie Kullerkeks. Frühstück in der Villa. Unangehme Gespräche über den 2. Weltkrieg. Hitler wird hier veehrt. Zum Glück war ich vorgewarnt. Ich steige nicht zu sehr in die Diskussion ein. Aber ich lade Amaja und Khalid nach Deutschland ein, damit sie sich ein Konzentrationslager anschauen und nochmal nachdenken…

Wir wechseln zu heiteren Themen, philosophieren über den Unsinn von Ehe, Religion und Gesetzen. Die Tiefe der Gespräche verzaubert mich, uns und endlich kann ich Khalid die Antwort auf die Frage geben, warum ich reise: DARUM! Er versteht es. Wieder steht ein Abschied bevor. Ich will nicht gehen. Hätte ich den Bus nicht gebucht, würde ich bleiben. Es ist, wie es ist. Tränen. Immer wieder. Nahezu täglich. Ich hasse Abschiede!

Beide bringen mich zum Bus. Abfaht 14:10 Uhr. Am Busbahnhof nur Männer, Pakistani, Inder, Bangladeshi. Sie schauen mit deutlich mehr Aufmerksamkeit als Saudis. Saudis sind eher verschüchtert, sehr zurückhaltend, fast verängstigt. Die Strafen für Belästigung sind drakonisch. 5 Jahre Knast und 500.000 Rial (1:4). Khalid kippte sich fast aus vor Lachen, als ich fragte, ob wenigstens die Frau das Geld bekäme…

Mit den Öffentlichen in Saudi

Mein ursprünglicher Plan war es ja, in Saudi mit den Öffentlichen zu fahren. Bus, Zug und bei langen Strecken den Flieger zu nehmen, die sind mit um die 50 Euro im Inland recht erschwinglich. Nach diesem Erlebnis muss ich meinen Plan ernsthaft überdenken:

Mit 90 Minuten Verspätung startet der Bus. Endlich. 2 Frauen, 30-40 Männer. Es gibt schönere Momente im Leben. Aber saudische Regeln! Frauen sitzen vorne in eigenen Reihen. Was woanders als Diskriminierung wahrgenommen wird, empfinde ich jetzt als absoluten Schutz und fühle mich besser. Der Bus schleicht durch die Botanik. Die Landschaft ist atemberaubend, die Fahrt nervtötend. Nur noch zu steigern durch eine Panne. Die Gänge des Busses fallen aus. Erster Gang durch die Berge. Eine Mitfahrende werden ungeduldig, laut. Schreien den Fahrer an. Mir wird mulmig. Die Frau neben mir beruhigt mich, ich kann ggf. mit zu ihr. Und ich weiß, ich brauche Khalid nur zu fragen, er würde mich überall abholen… Der Fahrer spricht Klartext. Öffnet die Tür und droht den Schreihälsen, sie mitten in der Pampa aus dem Bus zu werfen. Es wird ruhiger. Wenig später steht die Polizei im Bus und checkt erst mal die Papiere. Retourkutsche auf Saudi-Art. Außerdem hält der Polizist noch eine Ansprache an die anwesenden Herren und verpasst ihnen einen Extra-Sicherheitsabstand zu uns Frauen. Eine Leerreihe extra… Wir Mädels sitzen als vorne im Bus ein bisschen wie die Prinzesschen und die Männer wie die Ölsardinen und finden das auch nur wenig lustig. Zweimal mogelt sich einer der Herren vor und bekommt einen gepflegten Einlauf vom Fahrer. Statt 3 Stunden brauchen wir fast 8 Stunden bis Abha. Mein Fahrer holt mich ab und bringt mich ins Hotel. Er erzählt mir, dass er mich für seinen Boss ausfragen muss, woher ich bin, was ich hier will… ich biete ihm an, dass ich selber mit seinem Boss rede. Die Antwort: Nein, das geht nicht. Ich muss hier alles tun und mein Boss ist faul. Köstlich. Nachtruhe. Eine eigene Suite mit eigenem Swimmingpool für 70 Euro pro Nacht. Ausschlafen…

Ich habe das Gefühl, dass das ganze Land ein einziges Dorf ist. Du bist irgendwo im nirgendwo und irgendjemand kennt irgend jemanden, der dir irgendwie hilft, weil der Bruder eines Cousins vom Onkel des Vaters jemanden kennt, der schon mal in Deutschland war, oder englisch spricht oder Mario Götze mag. Oder Hitler 🙁

Abha

Mein erster Morgen in Abha. Unwohlig. Unruhig. Ziemlich weit ab vom Schuss. Mein Kontakt vor Ort ist ein Professor, der heute arbeiten muss. Mühsam quäle ich mich aus dem Zimmer und komme keine 5 Meter. Soll das Resort nicht verlassen. Auch nicht um die Ecke, auf einen Kaffee, zur Apotheke. Nach kurzer Diskussion gebe ich auf. Werde gefahren und mein junger Fahrer versucht meine Welt zu verstehen und mir seine zu erklären. Anspruchsvoll:

Bewusstseinswandel. Alles eine Frage der Ehre

Natürlich erfahre ich hier mehr Aufmerksamkeit. Man sieht mittlerweile auch unterwegs unverschleierte Frauen, zumeist in Abaya. Das heißt – sie tragen einen langen Umhang, bedecken aber ihre Haare nicht. So ist mein Anblick durchaus exotisch. Man schaut, aber nicht aufdringlich. Überrascht eher. Saudis legen uendlich viel Wert darauf zu wissen, was man von ihnen denkt. Sie wachsen in engen und familiären Strukturen auf. Diese zu verlassen kann bedeuten, dass man alle Kontakte verliert. Gesicht verlieren, Ehre … große und wichtige Teile ihres Lebens. Diese Bewusstsein geht mitunter offenbar so weit, dass man das Bedürfnis hat, auch meine Ehre zu schützen. Man denkt für mich mit. Wenn ich zum Supermarkt um die Ecke will, „muss“ ich mich fahren lassen. Nicht, weil ich es nicht kann, man es mir nicht zutraut. Sondern um mich zu beschützen, vor Blicken, Meinungen, Bemerkungen. Eine völlig neue und fremde Sicht auf die Dinge. Wir sind so selbstbewusst erzogen. Mit einem: Ist mir doch egal, was andere von mir denken. Da prallen Welten aufeinander. So langsam verstehe ich es. Fühle es, suche noch die Worte dafür…

Begegnung des Tages mit ChalliWalli. Ein wertvolles Geschenk

Ich hatte ein kleines Tief und wollte mich in einem Hotel bisschen ausruhen. Ein junger Mann an der Rezeption fragte mich, warum ich so traurig bin. Ich sagte ihm, dass ich hier so wunderbare Erlebnisse habe und die irgendwie erst mal verarbeiten muss. er meinte, er würde mich gerne in ein paar Stunden in sein Heimatdorf Tamniah bringen. Ein relativ unbekanntes, viele 1000 Jahre altes Dorf. Ich konnte irgendwie nicht Nein sagen und wir fuhren zusammen hin. Ich sah ein atemberaubendes schönes kleines Dorf in alter jemenitischer Bauweise.

Ich war so dankbar und erfüllt von so viel Aufmerksamkeit und Achtsamkeit und wollte mich irgendwie bei ihm bedanken und seine Antwort war: ich muss dir danken, für meinen schönsten Tag in diesem Jahr. Danach habe ich erfahren, dass er dafür sogar seinen Job riskiert hat und seine Kollegen in geschützt haben, damit ich nicht mehr traurig bin. Und jetzt hänge ich wieder hier und heule rum. Jeden Tag Begegnungen dieser Art. Kaum zu verarbeiten.

Unterwegs erzählt mir Siad noch die Geschichte von einem spannenden Fund im Dorf: Dorfbewohner fanden in einer Höhle ein Skelett eines Oberkörpers. Der Oberkörper allein hatte eine Länge von 1,80. Der „Mensch“ muss also über 3m groß gewesen sein. Untersuchungen ergaben angeblich, dass es menschliche Überreste sind. Ich lass das mal so stehen, zwischen Yeti und Bigfoot. Interessant, dass man Riesenmenschen in mehreren Kulturen kennt.

Noch ein Geheimnis konnte ich lüften: Die strahlend weiße traditionelle Bekleidung. Die Männer tragen sie wirklich voller Stolz und haben zum Teil Dutzende davon in ihrem Schrank, wechseln sie unzählige Male täglich.

Ach ja, was hat es mit ChalliWalli auf sich? Siad arbeitet mit mehreren Indern zusammen und dort bedeutet ChalliWalli einfach nur „das macht nichts“. Im Hotel lachen sich die Angestellten den halben Tag über das lustige Wort kaputt und ich wurde natürlich angestiftet, ChalliWalli zu wiederholen, bis um Umfallen vor lachen. Keine Ahnung, ob ich vielleicht was schlüpfriges gesagt habe. Mir wurde bei Gott geschworen, dass es anständig ist Aber ChalliWalli ist ab sofort in meinem Sprachschatz aufgenommen.

Siad ist 24 Jahre alt. Quasi verlobt. Ein zarter, kleiner und herziger Bursche mit augenscheinlich jemenitischen Wurzeln. Nach eigener Ansicht konservativ. Rezeptionist. Bachelor in Englisch. Soweit die harten Fakten, uninteressant.

Siad warnte mich vor, dass er zum Abschied ein besonderes Geschenk fürmich hat. Zum Glück war ich vorgewarnt. Ich hatte noch Lübecker Marzipan und Matchbox Autos im Gepäck. Das mit den Autos war ein glücklicher Insider. Denn im Gespräch erfuhr ich, dass es der große Traum von Siad ist, eines Tages in den Audi zu fahren. Also packte ich einen kleinen Audi Sportwagen, halbwegs nett ein und versah ihn mit dem Spruch: Never stop dreaming. One day you will going like this. Und versteckte noch ein großzügiges Trinkgeld zwischen dem Marzipan. Siad fuhr mich zur Mietwagenstation und schenkte mir den Ring, den er am Tag zuvor selber getragen hat. Ein Lapislazuli in Silber gefasst. Ein Familienerbstück. Ich bettelte förmlich darum, es kullerten Tränen, er möge ihn behalten. Wollte um Rückgabe verhandeln, wenn sein erstes Kind das Licht der Welt erblickt. Keine Chance. Ich musste den Ring annehmen. Alles andere hätte ich unendlich brüskiert, wie eine spätere Rücksprache mit Einheimischen ergab. So blieb ich beschämt zurück und werde diese Begegnung mein Leben lang nicht vergessen. Auch in der Hoffnung, dass dieses viel zu wertvolle Geschenk eines Tages den Weg zurück in die Familie findet, in die sie gehört… Nachtrag genau 2 Monate später: Siad und ich sind immer noch in Kontakt, er fragte mich, ob ich ihn heiraten möchte, er will keine arrangierte Ehe und er liebt mich. Heidewitzka.

Bad News are good news? Nein! Öffne dein Herz, das ist das größte Geschenk

Da bin ich also hier in einem Land, von dem wir Deutschen offensichtlich reichlich falsche Vorstellungen haben. Nicht nur die deutschen, nehme ich an. Und ich bin verwirrt und irritiert, wie oft ich förmlich dazu genötigt werde, etwas schlechtes über das Land zu sagen. Natürlich gäbe es negative Momente, über die ich berichten könnte. Es gab aber auch unendlich schöne Momente. Aber warum ist das Bedürfnis so groß, mehr darüber zu erfahren, was nicht läuft? Warum freut man sich nicht einfach mit mir gemeinsam dankbar an den großen Geschenken, die mir diese Reise gibt? Warum fragt man mich nach dem Patriarchat, der Unterdrückung der Frau, dem Hijab und Slums? Ich verstehe es nicht. Ist es wirklich so wichtig, auch immer die negative Sicht auf eine Zeit zu schildern? Oder nimmt man sich damit nicht einen Teil der Freude und relativiert diese? Ist es wirklich meine Aufgabe, hier alle Seiten zu beleuchten? Oder darf ich es einfach nur genießen und mir lieber Gedanken darüber machen, ob meine Waage aus Geben und nehmen ausgeglichen ist. Denn das ist hier wirklich eine große Herausforderung. Die Menschen geben so viel und ihre Gastfreundschaft berührt mich unendlich. Ich kann eigentlich nur mein Herz ganz weit öffnen und von mir viel zurückgeben. Das geht dann natürlich auch an deine eigene Substanz und kostet mich viel Kraft. Aber ich bekomme auch so unendlich viel zurück. Es gibt so viele Momente, die mich zu Tränen rühren und in denen ich realisiere, wie unendlich herzlich ich hier wahrgenommen, aufgenommen werde. Wo auf der Welt passiert einem das noch? Und ist Saudi-Arabien das Land, von dem wir genau das erwartet hätten? Zu gerne wäre ich eine Botschafterin der Toleranz, der Offenheit und des offenen Herzens. D.h. nicht, dass ich meine Augen vor dem Leid der Menschen verschließen würde. D.h. nur, dass ich mit der positiven Sicht aufs Leben mehr Glück, Zufriedenheit, Gelassenheit, Fröhlichkeit vermitteln möchte. Denn nur das ist, was unser Leben wunderbar macht. Und auch wenn die Kritiker natürlich zu Recht anmerken, dass das Leben nicht nur Friede, Freude und Eierkuchen ist. Dann soll sie sich auch bewusst dafür entscheiden, sich mit vollem Herzen und ihre ganzen Energie dafür einzusetzen, gegen die Missstände dieser Welt anzukämpfen. Oder mich einfach in Frieden lassen. Und nicht auch noch mit ihrem christlichen Hintergrund scheinheilig, neidisch und missgünstig auf mich zu schauen. Mein Weg ist auf jeden Fall ein anderer. Ich merke, wie viel besser ich damit leben kann, positiv durch die Welt zu gehen. Ich stecke lieber einen Menschen mit meinem Lachen an, als dass ich das Elend bestätige. Das ist meine Mission. Und ich wünsche mir von Herzen, dass viel mehr Menschen den Mut dazu finden, ihre eigenen Schranken im Kopf abzubauen.

Hier schreibt man das Jahre 1444… das muss man sich immer vor Augen halten. Ich glaube, jede Nation, und jede Kultur hat das Recht, den Rhythmus für seine Entwicklung selber zu bestimmen und keine andere Nation oder Kultur hat das Recht, vorzuschreiben, was richtig ist. Viele Traditionen, die für uns unverständlich scheinen, machen in bestimmten Kulturen einfach Sinn und sind historisch begründet. Die Einleitung eines Veränderungsprozesses obliegt immer dem Land, in dem die Menschen leben. Alles andere ist wieder Christianisierung und Kolonialismus. Ich glaube, dass wir uns damit beschäftigen müssen, bevor wir urteilen. Und liebe Emanzen dieser Welt: Reist in arabische Länder, redet mit den Frauen und Mädchen aus allen Gesellschaftsschichten und seid überrascht, wie wenige Frauen das wollen. Die Frauen leben nicht alle unfreiwillig hier, werden geschlagen, unterdrückt und unter den Schleier gezwungen. Ich traf mehrheitlich Frauen, die es SO wollten und verteidigten und sauer waren, weil sie glaubten, sich verteidigen zu müssen. Frauen ihre Verhüllung wegzunehmen bedeutet für nicht wenige genauso viel, wie für uns Frauen die Aufforderung, wir müssten ab sofort nackt durch die Stadt laufen. Natürlich sollte keine Frau dazu gezwungen werden, weder zur Verschleierung, noch zur Entschleierung. WIR haben kein Recht dazu, uns hier in diese Kultur einzumischen, unsere scheinheilig-christliche Moral überzustülpen.

HerzensZeilen

Ich schweife vom Thema ab. Obwohl, bin ich nicht mittendrin? Wann ist ein Reisebericht interessant? Wenn er die unfassbar wunderschönen Landschaften beschreibt, sich der Kultur und Geschichte des Landes widmet? Von den perfekten Museen und kulinarischen Hightlights zu berichten weiß? Was bleibt von jeder Reise wirklich hängen? DAS, was tief im Herzen hängen blieb, Momente, die zu Tränen rührten oder einfach nur unendlich verblüffen. Wie dieser Moment genau im Jetzt. Da sitze ich in einem Cafe an der Corniche in Jazan und links von mir vier saudische Frauen, zwei verschleiert, zwei mit offenen Haaren. Rauchen Zigarette und Shisha. Strahlen dabei mit einem Selbstbewusstsein und einer Anmut, die mich wie ein kleines graues Mäuschen fühlen lassen. Zumindest blau-weiß lang gestreift. Kurze Sachen gehen hier natürlich gar nicht. Positiv betrachtet schützen die langen Sachen vor der knalligen Sonne. Hier im Süden locker 35 Grad.

Von außen betrachtet erscheine ich unfassbar mutig, furchtlos und leider vermutlich an gelegentlicher Selbstüberschätzung… Aber ich schwöre: Dem ist nicht so. Jeder Tag hier ist ein unendliches Überwinden der eigenen Hürden, Grenzen. So oft schlägt mein Herz so sehr, dass er fast schmerzt in der Brust, dass ich den Puls in der Halsschlagader spüre, ich gegen Tränen ankämpfe, nicht selten, naja, fast immer verliere. Hier heule ich eh permanent. Entweder aus Angst vor der eigenen Courage oder aus Rührung. Diesmal aus Angst vor der eigenen Courage.

Beginn des echten Abenteuers – Roadtrip

Ich komme einfach nicht von Abha über Rajal Almaa nach Jazan. Entweder ich nehme mir für ein abartiges Geld einen Driver oder für 46 Euro ein Auto… Ein AUTO natürlich. Yelo ist DIE lokale und günstiges Station dafür. Nach einem gewohnt langwierigen Prozedere um Papiere, Visa, Führerschein, Buchung und Co ziehe ich mit locker einem Dutzend ungläubigen Blicken im Rücken mit mein knallroten Chinesen unbekannter Marke los. Freitag, der beste Tag, um sich hier an den Verkehr zu gewöhnen. Das ganze Land verschwindet gefühlt in den Moscheen und ich hab die Straßen für mich und kann mich ungestört in der Stadt erst mal verfahren. Google maps kennt zwar den Weg, wenn aber drei Ausfahrten auf 20 Meter liegen, flutscht man schon mal auf den falschen Weg. Passiert. Egal. Denn ich will nach Rajal Almaa. Eigentlich DAS Touri-Dorf hier. Eine Stunde quäle ich mich die Pässe hoch und genieße einen atemberaubenden Ausblick in Tal Rajal. Erst als mich Einheimische fragen, ob ich da runter will (mit so einem Blick: Hat die noch alle Tassen im Schrank?) realisiere ich, dass ich doch ein weniger mutig sein muss, als ich bin. Egal, hops, ins kalte Wasser. Außerdem falle ich hier überall auf wie ein Alien, immer wieder verfallen Männer bei meinem Anblick in Schockstarre, macht vielleicht den Weg frei, wir werden sehen.

Bevor es los geht, belagern Paviane mein Auto. Sie erspähen die Cashews und Bananen auf dem Beifahrersitz und sind nur wenig begeistert von der Windschutzscheibe, die sie vom Höchstgenuss aller Begehrlichkeiten trennt. Die meisten der Burschen bekomme ich durch Hupen los. Einer bleibt sogar sitzen, als ich losfahre. Ich stoppe und kann sowieso vor lachen nicht mehr weiterfahren. Zur Freude der umstehenden Fahrer, die mir helfen wollen, den renitenten Burschen loszuwerden und selber einem Lachanfall erliegen. Ich drehe langsame Kurven. Gebe etwas mehr Gas, drehe im Kreis, aber Pavian Nicky, wie ich ihn mittlerweile zärtlich taufte, klebt wie ein hungriger, bettelnder Tramper an meinen Auto. Gibt irgendwann auf. Tschakka. My Car. My nuts. My rules.

Nach diesem wunderbaren Erlebnis wage ich mich die Serpentinen hinab. Es sah gefährlicher aus, als es ist. Die Straßen sind in zumeist sehr gutem Zustand. Vor jeder Kurve wird mehr gewarnt als nötig und die Saudis fahren auch noch anständiger als erwartet. Ich bin angetan und verliere schnell die Angst und behalte den Respekt. Komme sicher in Rajal Almaa an.

Rajal Almaa

Rajal Almaa. Ich lass die Bilder für sich sprechen. Ein unbedingt sehenswerter Ort mit einem kleinen Museem voller unglaublicher Schätze. Voller Potential. Alles scheint hier irgendwie noch nicht ausreichend realisiert zu sein. Nicht wirklich liebevoll ist die Präsentation. Eher hingehauen, aber selbst das lässt authentischen Charme erkennen. Ein weltreisender Australier leistet mir kurz Gesellschaft, weil er verblüfft ist, dass ich das als Frau alleine wage. Nach einer halben Stunde gestehe ich ihm, dass ich gerne alleine das Dorf erkunden möchte. Reisen macht mutig, unvorstellbar eigentlich für mich, so direkt eine Abfuhr zu geben. Der Genuss des Reisens alleine ist tatsächlich eine Welt für sich. Ob ich jemals Sehnsucht nach Reisen zu zweit oder gar in einer Gruppe verspüren werde? Im Moment kaum vorstellbar.

Alleine zwischen Rauhbeinen in den saudischen Bergen

Auf halber Strecke nach Jazan wartet mein Bettchen auf mich. Unterwegs brauche ich nochmal eine echte Challenge für diesen Tag: Der Honigmarkt. Die Gegend ist bekannt für ihren ausgezeichneten Honig und irgendwann brauche ich sicher mal wieder ein Gastgeschenk. Ich erspähe einen Markt. Meine Vermutung war richtig, das wird eine Herausforderung. Keine Frau. Dutzende Männer. Eher vom Typ Rauhbein. Sitzen im Schneidersitz auf der Laderampe ihre Toyota Hillux. Verkaufen Waben und Honig. Kiloweise. Auf ins Getümmel, vorsichtig natürlich. Lieber die lange Seglerjacke übergeworfen. Man fühlt sich selbst im langen Shirt nackig. Nicht, weil ich so angeschaut werde, weil es so üblich ist, darüber schreibe ich später nochmal… Dutzende Blicke ruhen auf mir. Aber nicht unangenehm oder aufdringlich. Einfach nur erstaunt, neugierig. Ich fühle mich nicht unwohl. Wohl auch, weil die saudischen Männer einen Wohlfühlsicherheitsabstand halten. Niemand nähert sich meiner Komfortzone. Für mich Hampel in der Beziehung wirklich sehr angenehm. Ich suche mir einen Händler raus und versuche mein Glück. Nichts mit Englisch… logisch. Aber wie das hier so ist. Irgendwer kommt immer zur Hilfe, wenn man ahnt, es könnte Hilfe gebraucht werden. Der vermutlich einzig englisch sprechende Mann im Dorf übersetzt, handelt für mich und quetscht mich vorsichtig und wahrlich wieder respektvoll aus: Woher, wohin, warum…? Und man lässt mich mit einem Lächeln und wirklich warmen Gefühl ziehen. Ich spüre die Blicke im Rücken, als ich ins Auto steige und davon düse. Wenig später. Lichthupe, Hupe, Handzeichen… ich soll bitte anhalten. Der englisch sprechende Mann aus dem Dort düst mir hinterher. Spinnt der?! Verunsichert halte ich an. Wir kurbeln die Scheiben runter und mein Misstrauen beschämt mich… Er wollte mir einfach nur seine Hilfe anbieten und Telefonnummer geben. Wenn ich irgendwann und irgendwo in diesem Land seine Hilfe brauche, kann ich mich jederzeit an ihn wenden. Gerne auch, wenn ich Hunger habe, er würde mich natürlich zum Essen einladen. Ein Angebot, spürbar von Herzen, ohne Hintergedanken. Einfach nur Gastfreundschaft mit klarer Distanzkante.

SüdSaudi. Fremd. Einsam. Unwohl

Mein 2. Tag in Jazan.

Corniche Jazan
Fort von Jazan
Die Mall zum Abkühlen

Eine andere Welt so kurz vor dem Jemen. Das Alien-Gefühl hier verstärkt sich. Ich fühl mich fremder als irgendwo zuvor. Denke tatsächlich kurz über eine Abaya nach. Hier versteht man darunter übrigens nicht den schwarzen Ganzkörperschleier sondern einfach einen lockeren Überhang, vorne auch offen, auch bunt. Soll die großen Körperformen verdecken. Aber einige Saudis machen mir Mut und bestärken mich, mir selber treu zu bleiben, die Blicke auszuhalten. Die Ignoranz der Taxifahrer. Kein Gruß. Kein Tschüss. Kein Danke. Ich bin heilfroh, dass es hier Careem gibt. Ein relativ zuverlässiges, sicheres und kontrolliertes Taxi, dass man einfach per App anfordert. Standort wird erkannt, Ziel eingegeben, Preis ist fix und Bezahlung per Apple-Pay. Jede zweite Fahrt wird hier gecancelt. In Jeddah und anderen Orten bisher noch nie. Ich kann nur mutmaßen, Geschlecht und Nationalität sind hinterlegt. Vielleicht rede ich es mir auch nur ein, keine Ahnung. Hier ist es definitiv anspruchsvoller. Deutlich tiefer verborgen scheint die Gesellschaft in ihrer Privatsphäre versteckt. Jünger sind die verschleierten Mädchen. Kaum ein Haar zu erspähen. Ich halte mich tapfer, morgen die nächste große Tour. Und doch spannend zu sehen, wie weniger ich wahrnehme, wie versteckt die Frauen sind. In Deutschland würden alle starren, sie wäre der Alien. Hier bin ich es. Die Gesellschaft scheint nach außen völlig dicht, zu, unerreichbar. Man erahnt ein Lächeln in den Augen. Unverschleierte Frauen grüßen mich besonders herzlich und in Gesprächen wurde ich gebeten, mich nicht anzupassen, eine Abaya zu tragen, zu verschleiern. Ich soll authentisch bleiben, ich sein. Gut zu wissen, auch, wenn es Momente gibt, in denen ich mich auch lieber verstecken und untertauchen würde. Ich spüre einen aufkeimenden Sinneswandel in mir. Ist diese Verschleierung ein Schutz, ein Verstecken, ein vielleicht sogar angenehmes Abtauchen in ganz private Ich? Warum maßen wir uns an, dies beurteilen zu können, für arabische Frauen zu sprechen, ohne vorher mit ihnen zu sprechen. Genau diese Missachtung werfen wir doch auch arabischen Männern vor.

Reiseschranken im Kopf

Wenn man jung ist, sagt man uns: du bist zu jung dafür. Ist man im besten Alter, sagt man: kümmere dich um deine Familie und deine Kinder. Ist man ein bisschen älter, dann sagt man: kümmere dich um deine Karriere und um deinen Beruf. Und ist man dann endlich im richtigen Alter, stellt man fest, dass man zu alt ist. Fakt ist, wir oder unsere Umwelt werden immer die richtigen Ausreden für die genau richtige Zeit finden. Und es wird Zeit, sich davon los zu lösen und zu befreien. Sätze wie: ich könnte das nicht, ich habe kein Geld dafür, ich habe Verpflichtungen, später vielleicht, nein danke. Wenn du jemanden suchst, der sie dir erfolgreich aus dem Kopf schlägt – melde dich!

Meine Schranken sind aber nicht deine Schranken. Und ich denke, dass wir auf die meisten Schranken sowieso nur in unserem Kopf haben und nicht in der Realität. Unsere Schranken sind meistens nur unsere Ängste, das Festhalten an unseren vermeintlichen werden. Und diese Schränken und Blockaden zu überwinden, öffnet auf einmal völlig neue Welten.

Ich bin ein Popstar

Ich muss wieder mal zurückschauen, obwohl die letzten Tage gar nicht so ereignisreich waren. Meine Bestellung nach etwas mehr Ruhe und Zeit für mich kamen beim Universum direkt an und schwups. Ich hatte mehr Ruhe, als mir lieb war. Leider und zum Glück. Alles hat seinen Sinn.

Jizan waar nicht wirklich mein Must-Have. Ein Castle, nette Mall, schöne Corniche. Ein paar Begegnungen. Zum Glück musste ich wieder mal ein Auto mieten. Die Öffis taugen nichts und auf Dauer ist Careem auch nicht der Hit. Subjektiv sind die Menschen im Süden viel verschlossener. Es dauert wohl, bis man ihr Herz erreicht, aber wie denn, hinter dem Vorhang? Aber ich will nicht ungerecht sein. Hinter fast jedem Schleier blitzte ein Lächeln hervor. Frauen am Steuer grüßen sich besonders herzlich und aufmerksam. Eine Beifahrerin formt ein Herzchen zwischen Daumen und Zeigefinger oder einfach nur und immer wieder „Daumen hoch“. Einer der herzigsten Momente war in Sabya: Ich wollte fix im Restaurant zur goldenen Möwe einen Cappuccino tanken. Ja, shame on me. Aber Cafe und Restaurant in KSA ist ne Hausnummer für sich, später dazu mehr. Ich tapp also im Familienbereich rein, bestelle und mir folgen ein knappes Dutzend Mädels um die 18. 30 Sekunden bin ich ein Popstar. Es wird gequiekt und gekreischt. Die eine Hälfte etwas verschmämter, die andere ganz offensiv. Wo kommst du her, wo gehst du hin und WAS TUST DU ausgerechnet hier. Immer wieder Erstauen, warum es mich ins Abseits verschlägt. Besonders groß ist das Interesse dafür, was man arbeiten und lernen muss, damit man raus kommt, reisen darf. Offensichtlich ist, dass die Mädels raus wollen aus der Enge ihrer Traditionen. Augenblicklich könnte ich meine Söhne hier unterbringen, das Interesse ist groß. Aber auch Momente der Angst in den Augen. Als ich sage, dass ich ihr Land wunderschön finde. Widerspruch. Deutlich. Wir bleiben auf Instagram verbunden und reden weiter. Sehr intensiv. Ich liebe diese unglaublichen Frauen in diesem Land. So reflektiert, ehrlich, neugierig, offen, wunderschön. Was für ein Privileg, das ich als Alleinreisende genießen darf.

Auf in den wilden Süden und Osten, knapp vorm Jemen

6500km bis Gotha. Was für eine Begegnung
Wadi Lajab

Für mich geht es auf einen Roadtrip. Zwei Tage, fast 600km durch die Berge. Als erfahrene Frau am Steuer legt sich diesmal die Aufregung deutlich schneller und ich genieße die Fahrt. Einfach zu fahren. Weniger chaotisch als befürchtet. Ich liebe diese Freiheit auf der Straße und verstehe den Neid der Mädels. Tatsächlich ist Saudi für mich mehr Begegnung als Sehenswürdigkeiten. Die Landschaft ist grandios, doch hängen bleiben werden die Menschen. Die Männer in den Bergen mit ihren Blumenkränzen im Haar. Freundlich winken sie aus dem Auto, mit dem Daumen nach oben. Alte knochige Rauhbeine mit tiefen Falten und Rauschebart, die mich überholen und ich frage mich: Muss ich mich fürchten? Nein, nur wenig später schenkt das Rauhbein mir eine eiskalte Fanta und lächelt zahnarm. Und auch in Jizan sind es zwei Menschen, die es wagen, mich anzusprechen. Ein junger Ägypter, wir sitzen stundenlang im Cafe und lachen Tränen. Er erzählt mir von seinem Leben hier. der allgegenwärtigen Sehnsucht fast aller Auswanderer, die irgendwann zurück wollen, in die Heimat. Von der nicht immer einfachen Beziehungen zwischen Ägyptern und Saudis, Vorurteilen und seiner Begeisterung für Hitler. Immer und immer wieder werde ich angesprochen. Ich bin es leid, über einen Mörder und einen der schlimmsten Unmenschen der Weltgeschichte zu reden. Werde auch deutlich und stelle klar: Hitler war ein Mörder, kein Deutscher, Themenwechsel oder Eskalation…

Meine zweite Begegnung war Akbar. Ein junger Saudi, Inhaber einer Kaffeeplantage. Kontakt über Couchsurfing. Er schockte mich erst mal mit dem Einstandssatz: „Ich hasse Touristen“. Holla die Waldfee. Und was ich höre, beschämt mich. Dass Couchsurfer die Gastfreundschaft ihrer Hosts ausnutzen ist ja nun nichts neues. Dass aber ein Mädchen einen Host anruft, weil der Taxifahrer sie küsste und eine Szene macht, erschüttert. Umso mehr, als sich herausstellt, dass dies eine Lüge ist und der Versuch, die teure Taxirechnung zu prellen. Viel schlimmer ist die Strafe für den indischen Taxifahrer, fünf Jahre Knast und 500.000 Rial. Via Couchsurfing sprach sich herum, was für eine falsche Schlange das Miststück ist. Wer weiß, wo sich sich gerade herumtreibt. Nach einer Handvoll solcher Geschichten schaue ich in traurige und enttäuschte Augen und kann nur noch sagen: I am SO SORRY. Nikolas – shame on you!

Dharan al Janub

Weltanschauung kommt von Welt anschauen.

Ich kann von der arabischen Halbinsel nur nach Europa rüber rufen: macht euch ein eigenes Bild. ch bin gerade heilfroh, dass ich soweit weg bin. Und dass ich hier sein darf und diese Gespräche führen darf. Menschen kennen lernen kann, die genau wissen, was wir über sie denken und die darüber unendlich traurig sind. Ich habe keine Ahnung, wie oft ich mich hier für diesen modernen Kolonialismus und die PostChristianisierung entschuldigt habe. Aber diese europäische Arroganz und der Glaube, dass wir Europäer wissen, was richtig und was falsch ist, beschämen mich zutiefst. Da passiert gerade im ganz großen Stil Manipulation und ein Bashing dieser Region. So beginnen Kriege. Erst systematisch in unseren Köpfen und dann marschieren wir ein. In ein Land, dass seine eigenen Vorstellungen von Befreiung hat und nicht haben darf

Nadjran

Triggerwarnung – diesen Abschnitt überspringen, wenn Gewalt und Missbrauch dich antriggern.

Am 23. November fuhr ich nach Hima Wells mit meinem Mietwagen. Ich bin bis dahin schon ca. 1000km hier im Land gefahren. Fühlte mich immer sehr sicher. Auch in entlegenen Regionen. Meine eigene Gutgläubigkeit und das Vertrauen in dieses Land waren dementsprechend grenzenlos und sollen es auch bleiben. Aber ich war unvorsichtig. Ich wollte nach HIma Walls. Eine der beeindruckendsten und wichtigsten Welterbestätten der Menschheit. Felsenmalereien, Jahrtausende alt.

Leider sind nahezu alle touristischen Sehenswürdigkeiten zwar unendlich sehenswert aber auch nahezu unerschlossen. Mit etwas Glück gibt es ein arabisches Straßenschild und mit ganz viel Glück ein englisches. Von weiterer Infrastruktur kann man hier nur träumen. Das macht den Reiz, aber auch die Gefahr hier aus. In diese Falle tappte ich:

Nicht mal die Abfahrt zum Hima Wells war zu finden. Ich stand also am Straßenrand zwischen Asphalt und Sandpiste und suchte mit google die Abfahrt.

Neben mir stoppte ein Einheimischer. Ich fragte nach Hima Wells und er deutete mir an, dass ich ihm folgen soll. Nach zwei Wochen ausnahmslos guten Erfahrungen in KSA war ich voller Vertrauen in die Menschen hier. Ich folgte ihm. Wir fuhren ungefähr 700m in das Gebiet hinein und parkten unsere Autos dort. Der Mann fuhr einen älteren Toyota Hillux, trug lokale Kleidung. Eine weiße Hose und ein langes weißes Hemd, keine Kopfbedeckung. Ich schätze ihn auf Mitte 30. Er sah nicht reich aus. Er kannte sich offenbar aus. Zeigte mir einen Brunnen und erklärte mit Zeichensprache und sehr wenigen Brocken Englisch, was wir sahen. Ich vertraute ihm, ich dachte, er wäre ein lokaler Guide. Ich fragte aber nicht nach einem Ausweis oder einer ID. Links von uns stand ein großer weißer Truck, vermutlich ein Wassertruck, auf dem Truck saß ein älterer Herr und arbeitete dort. Ich bin mir sicher, dass er uns gesehen hat.

Ich lief also mit dem Guide in den Bereich und als wir um eine Linkskurve bogen, gab er mir seine Hand, ich lehnte ab. Er wollte, dass wir uns setzten. Ich lehnte ab. Dann umarmte er mich und versuchte mich zu küssen, zog an meiner Kleidung. Ich schrie stop stop stop. Unzählige Mal. Er ließ kurz von mir ab. War sichtlich irritiert und wurde gewalttätiger. Umarmte mich sehr fest, zerrte an meiner Kleidung. Wollte mir die Kleidung vom Leib reißen. Ich habe dann nur noch endlos geschrieen. Extrem. So laut, wie noch nie in meinem Leben. Ich habe bis jetzt Schmerzen davon in meinem Hals. Er ließ von mir ab und schaute mich an. War verunsichert. Ich denke, er dachte in dem Moment darüber nach, ob er mich umbringt, vergewaltigt oder abhaut. Ich schrie ohne Unterbrechung um mein Leben. Dann rannte der Mann weg. Sehr sehr schnell. Ich schrie und schrie weiter. Ich hörte, wie sein Auto davon raste. Ich holte ein wenig Luft und versuchte, ruhig zu bleiben und durchzuatmen.

Ging zurück zu meinem Auto. Ich saß noch einige Minuten im Auto und dachte darüber nach, was ich nun mache. Ich wollte eigentlich zurück nach Nadjran in mein Hotel Oasis fahren. Ich schrieb meiner Freundin Aisha in Jeddah und schilderte die Situation. Sie zwang mich förmlich zur Polizei zu gehen. Ich fuhr mit meinem Auto zurück zur Hauptstraße. Dort stand ein teurer Geländewagen mit einem Mann. Ich bat ihm mit google translator auf Arabisch um Hilfe. Er zeigte mir eine kleinen Firma in der Nähe und deutete an, ich soll dort hinfahren. Er rief für mich die Polizei. Diese war sehr schnell vor Ort und ich folgte dem Auto zur Polizeistation. Die Polizei dort war extrem freundlich, besorgt, herzlich. Aisha übersetzte für mich kurz am Telefon, was passiert ist. Ich gab eine Personenbeschreibung ab und konnte das Auto beschreiben. Die Polizei zeigte mir eine Akte und fragte, ob es dieser Mann sein könnte. Ich konnte ihn auf dem winzigen Foto nicht erkennen. Trotzdem fuhr die Polizei sofort los. Nach ca. 30 Minuten kamen sie mit dem Verdächtigen zurück. Er hatte sich umgezogen, nicht mehr weiß, sondern grau gekleidet. Ich erkannte den Mann sofort und wollte ihn umbringen. Die Polizei stoppte mich und hielt mich von ihm fern. Nach der ersten Identifizierung folgte ein langer Prozess der Aussage. Anfangs mit google Übersetzer. Dann traf ein Übersetzer aus Nadjran ein. Er brachte eine Frau mit, zu meiner Unterstützung. Mehrmal brach ich heftig weinend zusammen. Es war alles sehr schwierig. Aber alle waren sehr hilfsbereit und herzlich. Ich wurde ausführlich mit Übersetzer nochmal befragt und musste den Verdächtigen noch zweimal identifizieren. „Gott wird dich richten“, sagte ich. Die Polizei hielt mich auf Distanz.

Nach meiner Aussage wurde die Aussage des Verdächtigen aufgenommen, ich wollte aus dem Raum gehen, ich habe das nicht ausgehalten. Ich hörte ihn schreien und wüten, er war sehr aggressiv. Ich hatte Angst und weinte ständig. Dann wurde der Mann weggebracht. Der Bruder des Mannes kam zur Polizeistation und wollte sich bei mir entschuldigen. Man bat mich, ihn zu ignorieren. Ich verstand nicht warum, ich tat es. Ich fuhr dann mit der Polizei, dem Übersetzer und einem Spurenleser zum Tatort und erklärte doch alles nochmal ganz genau. Zeigte, wo wir parkten, wie wir liefen. Man fotografierte alles und checkte die Spuren von meinen Schuhen und den Autos. Suchte die Spuren des Verdächtigen. Der Spurenleser bestätigte meine Version und ich durfte danach zurück nach Nadjran fahren. Bei der Polizei fühlte ich mich sehr sehr sicher und war unendlich dankbar dafür, dass sie mich so warmherzig umsorgten. Mir glaubten, Mut machten und sagten: Du bist unsere Schwester. Eine unglaubliche Erfahrung, die mich für Wochen traumatisierte und nur durch weiteres Reisen geheilt wurde.

Gegen 6 Uhr war ich endlich im Hotel in Nadjran und stand erst mal unter Schock. Weinte nur noch. Hatte Angst vor dem Stamm des Mannes. Die nächste Nacht war schrecklich. Ich konnte nur noch weinen. Nicht schlafen. Sobald ich die Augen schloss, hatte ich den Moment des Übergriffes in meinem Kopf. Am nächsten Morgen rief ich die Botschaft an. Man sagte mir, dass man mich mit einer saudisch-deutschen Anwaltskanzlei vermittelt. So kam der Kontakt zu Nouf zustande. Die Botschaft meinte, ich kann auch einfach zurückfliegen und alles vergessen. Ich will es nicht vergessen. Ich will Gerechtigkeit für mich und vor allem für alle seine Opfer. Er hatte noch andere Frauen und Kinder auf dem Gewissen, die trauten sich nicht, ihre Anzeige durchzuziehen, aber ich. Ich will, dass der Mann so lange wie möglich ins Gefängnis kommt. Rückblickend habe ich das Gefühl, dass der ganze Prozess dann doch irgendwie im Sande verlief. Angeblich bekam der Täter drei Jahre Haft. Seine Familie wird vom Staat unterstützt. Ob dem tatsächlich so ist, vermag ich nicht einzuschätzen. Ich hätte mir gewünscht, dass ich im Nachhinein mehr Rückmeldung und Unterstützung bekomme, was den weiteren Prozess betrifft. Alle meine Rückfragen wurden von offiziellen Stellen und privaten Kontakten ignoriert. Keine Antwort ist auch manchmal eine Antwort. Und doch möchte ich nicht, dass dieses Ereignis das ist, was meine Erinnerung an Saudi und die des Lesers über das Land dominiert. Ein Krimineller nutzte mein Vertrauen aus und ich hoffe sehr, dass dieses Ereignis eine Lektion für alle sein wird. Nach dem Erlebnis schlüpfte ich noch mal ein paar Tage in Jeddah bei meiner Freundin Aisha unter und versuchte, mich wieder zu sortieren, zu Verstand und Mut zu kommen.

Ende der Triggerwarnung und weiter mit:

On the road again

Strafen. Schutz. Abschreckung

Subjektiv fühlt sich das Leben in Saudi extrem sicher an. Mann und vor allem Frau können ohne Angst sich alleine in der Stadt, auf dem Land bewegen. Wirklich. Leider musste ich am eigenen Leib erfahren, dass Sicherheit kein Freibrief ist. Achtsamkeit und Wachsamkeit. Gesundes Misstrauen. Ohne Verletzung der Gastfreundschaft und Offenheit dieser Menschen, wenn sie sich trauen, einen anzusprechen. Eine Herausforderung und ein Balanceakt. Vor allem, wenn das Vertrauen einmal einen Knick bekommen hat. Diese Erfahrung versuche ich gerade noch zu verarbeiten, einzuordnen und neuen Mut zu fassen. Ich werde nicht zulassen, dass ein unangenehmes Ereignis in meinem Leben den Rest meines Lebens beeinflusst. Ich möchte wieder vertrauen. Mit offenem Herzen in die Welt ziehen. Ich werde lieben, lachen, leben. Ich war leichtsinnig und ich werde diese Lektion dankbar annehmen. Einerseits meine Einstellung zum Vertrauen überdenken, ich habe ja gerade erst damit angefangen, es überhaupt aufzubauen. Und andererseits darauf zu vertrauen, dass meine Erfahrung und der Weg, den ich nun gehen muss, andere Frauen und Kinder schützt. Mir ist vergleichsweise wenig passiert, meine Privatsshpäre wurde massiv verletzt. Nun ist es meine Aufgabe, dafür zu kämpfen, dass Frauen, die sich solchen Momenten nicht mit voller Energie entgegenstellen können, vor diesem Mann sicher sind. Dass ein solcher Unmensch keine Gelegenheit hat, noch einmal eine Frau zu verletzen. Dass er den Rest seines Lebens geächtet wird und die Strafe nach weltlichem und göttlichem Recht verbüsen wird.

Da wollte ich nun eigentlich meine Weltreise im Land meiner Träume, in der Region meiner Träume, starten und der Start stellt mich auf eine harte Probe. Ist es ein schlechtes Omen? Ist es eine Prüfung meiner Resilienz? Bekam ich hier einfach eine Aufgabe, die mich zur Botschafterin macht? Soll ich mit meiner Stärke Frauen vor schlimmerem bewahren? Verdammt, ich bin wirklich stark. Aber ich bin auch an meiner Grenze. Ich werde das durchziehen, aber ich brauche vielleicht auch Hilfe. Oder nur Zeit? Livi, lass dir Zeit und erlaube ihm nicht, dass er weiterhin Einfluss in deinem Leben nehmen darf. Abgesehen davon, dass ich vorsichtiger sein werde. Und trotzdem lerne, Vertrauen zuzulassen. Nicht hinter jedem Baum wartet ein Verbrecher. Das ist nicht meine Angst. Es ist wieder mal eine Erinnerung daran, die Ängste meiner Vorfahren auch bei meinen Vorfahren zu lassen. Für mich und für die folgenden Generationen.

Tauge ich überhaupt noch als Botschafterin für Toleranz, Neugier und Verständnis? Ich wäre es gerne und ich war es. Nicht umsonst erklärte mir ein Saudi, dass ich nicht dieses Land nach außen verteidigen muss. So oft tat ich es. Führte Diskussionen mit Freunden, der Familie.

Ich will eine Abaya. Ein Plädoyer gegen die Emanzipation

Und dann gibt es Momente wie diese. Am Flughafen in Nadjran. Sitze alleine zwischen ein paar Hundert Saudis und fühle mich mehr als deplaziert. Alleine. Wie ein Alien. So geht es vermutlich unzähligen Frauen und Männern überall auf der Welt, die nicht in ihrer gewohnten Umgebung sind. Zu Gast in einem fremden Land. Zu Gast in einem Land, das mit ziemlicher Sicherheit wenig gastfreundlich ist. Niemand außer mir trägt westliche Kleidung. In Momenten wie diesen verstehe ich die Frauen, die eine Abaya tragen. Die den Schutz hinter schwarzem Tuch suchen und finden. Hätte ich eine Abaya. JETZT würde ich sie tragen. Dem Bedürfnis folgen, mich unsichtbar zu machen, zu verstecken. Niemand zwingt mich dazu, ich würde es freiwillig tun. Meine Sicht auf die Dinge ändert sich. Sich in einer Gesellschaft wie dieser zu bewegen erfordert Anpassung. Oder verdammt viel Selbstbewusstsein, die Fähigkeit, solche Momente zu „ertragen“. Auch, wenn niemand unangenehm schaut. Neugierig vielleicht. Vor allem die Kinder. Aber in den zwei Wochen sah ich noch keinen unangenehmen Blick, schon gar nicht abschätzig. Und doch weiche ich aus. Trage häufig eine Sonnenbrille, setze hier meine Kapuze auf und fühle mich immer noch nackt.

Wo ist also hier überhaupt ein Platz für Emanzipation und Feminismus? Ist das Land wirklich schon bereit dafür. Haben wir ein Recht, unsere Vorstellungen davon auf den Rest der Welt zu übertragen. Können wir wirklich mit vollem Selbstbewusstsein fordern: Lasst doch die Frauen auf der Welt darüber entscheiden, wie emanzipiert sie leben wollen? Wie würden die Frauen entscheiden? Sind sie überhaupt dazu in der Lage? Was braucht es dafür? Nicht nur Mut und unser Vorbild. Nach Jahrhunderten in Tradition frage ich mich, ob für diese Menschen hier unser westliches Lebensmodell überhaupt erstrebenswert ist. Ich kann das jetzt, im Moment hier überhaupt noch nicht fühlen. Eine Sehnsucht danach, natürlich. Mc Donalds, Burger King, Dominos und Co sind allgegenwärtig und beliebt. Aber ist das wirklich eine erstrebenswerte Kultur? Sind das unsere westlichen Werte, die wir ernsthaft exportieren müssten? Um welchen Preis. Ist das vielleicht sogar die Kolonialisierung der Neuzeit? Früher Christinisierung, heute Mc-Donaldsialisierung.

Es gibt nicht wenige Momente hier, da schäme ich mich in Grund und Boden für Europa, für Deutschland. Versteht mich nicht falsch, ich liebe mein Land, meine Kultur, meine Freunde, meine Familie. Aber wenn ich auch gerade jetzt auf Katar schaue, auf die Nachrichten… ich ertrage es nicht mehr. Habe permanent das Bedürfnis, mich zu entschuldigen. Nicht nötig, man weiß hier, dass ich nur eine von Millionen bin. Aber das reicht mir nicht. Reisende sind Botschafter ihres Landes, sie repräsentieren ihre Kultur und Werte. Und derzeit empfinde ich den europäischen Blick auf diese Region als ein überaus gefährliches Bashing. Eine Brandstiftung in den Köpfen. Krieg der Worte. Ich hoffe und bete, dass dies keine Vorbereitung für einen psychischen Krieg ist. In Autokratien ist es der Diktator, der Meinungen bildet, vorgibt. In der Demokratie obliegt diese Macht der vierten Gewalt. Und dass ich das mal als ausgebildete Journalistin schreibe, hätte ich nicht zu träumen gewagt. Meine Trauer und mein Entsetzen sind groß.

Prayers time und Heiratsanträge

Schon vorher wusste ich, in Saudi ticken die Uhren anders. Natürlich gibt es Tag und Nacht. Aber es gibt auch noch fünf weitere Tageszeiten – die Gebetszeiten. Einst bedeutete das einen totalen Stillstand einer ganzen Gesellschaft. Läden schlossen, die Menschen zogen sich zurück. Mittlerweile wird es liberaler gehandhabt: Immer noch schließen viele Geschäfte. Scheinbar aber auch zeitversetzt. Sicher nicht mehr alle. Man kann und muss es akzeptieren?! Vielleicht auch verstehen: Was ist verwerflich daran, sich dreimal am Tag, sowie bei Sonnenauf- und untergang zurückzuziehen? Wenn wir ein Gebet als Besinnung und Meditation verstehen, bekommt es für mich eine andere Bedeutung. Keine Einschränkung des Alltags, es ist ein zu-sich-kommen. Gerade sitze ich am Flughafen auf der Bank und wundere mich über gemurmelten Singsang neben mir. Eine tief verschleierte Frau hält ihr Handy in der Hand und singt offensichtlich Suren aus dem Koran.

Anders verhält es sich am Freitag, wenn man zur Gebetszeit feststellt, dass der Tankinhalt an der Reserve kratzt und man keine 50km mehr hat. Irgendwo im Nirgendwo stand ich an der letzten tatsächlich ziemlich räudigen Tanke und mutierte zur Attraktion der aufmüpfigen Dorfjugend, die aufs Gebet pfiff und mich johlend mit ihrer Anwesenheit entzückte. Eine Handvoll Bübchen, schätzungsweise zwischen 18 und 20 betrachtete mich erst neugierig mit üblichem Abstand und rückte dann vorsichtig näher. Probierte ein paar Worte Englisch und wurde immer mutiger. Wohl auch in der Gewissheit, dass die konservativen Aufpasser des Dorfes im Gebet versunken sind. Wir plauderten ein wenig mit Google Übersetzer und zum Abschied nahm eine der Jungs seinen ganzen Mut zusammen und meinte: „I love you, I will marry you“, nicht die erste Liebeserklärung, nicht der erste und letzte Heiratsantrag. Sicher auch nicht ernst gemeint. Und doch versteckte sich häufig dahinter die Angst vor den eigenen Traditionen. Dem unbekannten anderen Geschlecht und der Hoffnung, dass eine europäische Frau „erfahren und weniger verklemmt ist“, für ihren eigenen Lebensunterhalt aufkommen kann und will und mehr im Kopf hat, als Schuhe, Schmuck, Handtaschen und botoxaufgeblasene Lippen.

Papierkrieg und Überwachung

Schon die Einreise ist ein Akt der Bürokratie. Fotos, Fingerabdrücke, von jedem Finger. Befremdlich mit unserem Verständnis von Datenschutz. Hier jedoch Alltag, selbst beim Kauf einer SIM-Karte wird der Fingerabdruck fällig. Er ist hier eine Unterschrift. Einerseits sicher dem Umstand und der Historie geschuldet, dass es hier einst eine Zeit gab, in der Lesen und Schreiben nicht selbstverständlich war und andererseits muss man ehrlich sagen: Was ist verbindlicher und fälschungssicherer? Fingerabdruck oder Unterschrift. Wenn man hier einmal das Vergnügen hatte, seinen Finger in Tinte zu tauchen, ahnt man, um wie viel bedeutungsschwerer dieser Akt ist. Gegenüber einem Schnörkel namens Autogramm.

Wie tiefgreifend Kontrollen und Überwachung sein können, erfährt man spätestens beim Mieten eines Autos und beim Einchecken ins Hotel: Ohne saudische Handynummer im Land geht gar nichts. Alle 30-50km finden sich kleine Brücken über der Straße. Diese checken Geschwindigkeit, Gurtpflicht, Telefonkonsum am Steuer… Innerhalb von zwei bis drei Tagen erhält man dann eine SMS mit dem eigenen Konterfei und die saftige Strafe – immerhin bis zu 750 Euro bspw. Für nochmal Vollgas bei einer roten Ampel – wird direkt vom geblockten Betrag der Kreditkarte abgezogen. Dieser ist übrigens überaus groß, kann schon mal 1000 Euro betragen und wird erst nach 21 Tagen freigegeben. Das muss unbedingt in der Reisekasse einkalkuliert werden. Ich mietete 3x ein Auto und kam damit auf überraschende 3000 Euro, die auf einmal meine Kreditkarte blockierten. DAS war ein paar Tage wahrlich unangenehm.

Zurück zum Thema, ach nee, ich bin ja mittendrin. In Jeddah kämpfte ich täglich aufs Neue mit meinem Mut. Haderte mit mir zwischen Weiterreisen und zurück ins alte bürgerliche Leben. Vorsichtig wagte ich mich wieder vor die Tür und ergatterte einen Platz bei einer saudischen Familie im Auto, auf dem Weg nach Medinah:

Medinah

Ein Besuch der heiligen Stätten in Saudi-Arabien ist einer meiner größten Lebenswünsche. Als Christin bleibt er mir versagt, aber die Sehnsucht ist groß. Nicht wenige Saudis boten mir an, mich mit nach Mekka und Medinah in die heiligen Stätten zu nehmen. Oh wie haderte ich mit mir. Unter der Abaya hätte mich niemand erkannt. Ich hätte es auch mit meinem Gewissen vereinbaren können. Mohammed als Prophet respektiert. Aber Gesetz ist Gesetz und so wagte ich nur den Außenbezirk von Medinah. Und spürte eine unfassbare Energie an diesem Ort. Ich trug hier das erste Mal freiwillig eine Abaya. Niemand bat mich, zwang mich. Ich hätte mich ohne so unwohl gefühlt, wie splitterfasernackt in einer Kirche. Eine sehr tiefgreifende Erfahrung, die derzeit noch mehr auf einer Gefühlsebene zu finden ist. Ich suche die Worte dafür und finde sie nicht. Aber seit diesem Tag hat sich ganz tief in meinem Bewusstsein etwas bewegt und verändert. Jedes Urteil über die islamische Kultur beschämt mich, weil ich fühle, dass es unrecht ist und wir mit unserem kulturellen und religiösen Hintergrund NULL Recht haben, zu urteilen. In Medinah ergriff mich eine Gänsehaut wie an nur wenigen Orten dieser Welt. Ich spürte eine Kraft und Energie, wie ich sie auf Reisen immer wieder suche. Kraftorte, deren unglaublicher Energie man sich nicht entziehen kann. Tränen, die mich Monate später noch im bloßen Gedanken daran übermannen.

Medinah sollte meine Eingangstür Richtung Norden werden. Zum einen ist der Mietwagen dort deutlich günstiger und zum anderen fand in bei einer bezaubernden saudischen Familie eine Nacht einen Unterschlupf. Die langsame Heilung begann und ich wusste – Fahren hilft. Ich liebe Roadtrips und so sollte ich mich regelrecht freifahren.

Khaybar

Auf nach Norden. Mit jedem Kilometer mehr lasse ich den Verfolgungswahn hinter mir. Überwinde meine Angst zu fahren. Hunderte Kilometer. Begleitet von Musik, singend. Meine Gefühlswelt spielt Achterbahn und mit mehr Abstand nach Süden wirds besser. Khaybar ist mein erstes Ziel. Und das Eingangstor in den touristisch besser erschlossenen Norden. Was sich sofort an einer besseren Infrastruktur und den exorbitant steigenden Preisen bemerkbar macht. Man sollte zwingend vorbuchen. Tickets für Eintritt, zumeist ist die Führung inbegriffen und 50 Euro sind schnell weg. Unterkünfte sind noch etwas rar, insbesondere rund um Khaybar und Tayma. In Khaybar erwischte ich eine gigantische Dreiraumwohnung. Locker 20 Gästen hätten hier schlafen können und ich war alleine. Mitten in einem Wohnviertel. Unangenehm und doch sicher. Die Saudis lieben ihre Privatsphäre, deswegen die hohen Mauern und sicheren Türen. In Khaybar lohnt sich die historische Stadt. Die Führungen durch die Oase und die historischen Ruinen sollte man unbedingt mitnehmen. Der touristische Hotspot an der Oase wurde erst im November 2022 eröffnet und ich war einer der ersten Besucher überhaupt. Die Aufmerksamkeit, die mir dort zuteil wurde, war mir unendlich unangenehm und überaus ungewohnt für saudische Verhältnisse: 30 bis 40 Saudis warteten auf Gäste. Ich war alleine und so teilte man sich die Aufgaben. Dattelreicher, Teebringer, Erklärbär. Alle paar Minuten durfte ein anderer Guide an mir erproben, wie man Touristen führt. Nicht selten standen 5 weitere Guides in der Warteschlange. Und keiner hatte ernsthaft Lust, mir irgendwas historisches anzutun. Allesamt Jungs, Anfang 20 und eine weibliche Aufpasserin zu meinem Wohl. Sie waren unendlich neugierig auf mich. Was für eine neue Erfahrung und so wechselten wir schnell das Thema und es wurde persönlicher. Religionsphilosophisch. Beziehungsfragen. Aus der kalten heraus fragte mich einer der Burschen, ob er lieber heiraten oder einen Mercedes kaufen soll. Meine Empfehlung war deutlich: Kauf dir einen Benz. Der diskutiert nicht mit dir, du hast überschaubare Kosten. Wenn was nicht läuft, kannst du ihn reparieren. Und Eifersucht ist auch kein Thema. Schmuck, Schuhe, Handtaschen und Luxus braucht die Kiste auch nicht. Das Eis war gebrochen! Nach wenigen Minuten bildete sich eine Traube lachender Burschen um mich herum. Ungläubig und staunend, dass dies eine Frau zu sagen wagte. Und es offenbarte eine tief sitzende Angst junger Männer und auch Frauen, die mich immer wieder in solchen Gesprächen erreichte. Die Angst vor der Ehe, vor dem anderen Geschlecht, vor dem, was kommt. Das Vertrauen rührte mich jedes Mal zutiefst, wenn sie ihr Herz öffneten und sagten: Hast du eine Ahnung, wie schwer es sein wird, eine Frau/einen Mann zu umarmen, wenn man es das noch nie tat? Manchmal fühlte ich mich wie eine Mutter, die Mut machte und bat – redet miteinander, ihr habt alle die gleichen Ängste…

Begegnung waren es immer wieder, die die Erinnerungen an die Orte verblassen ließen. Die Landschaften, die Städte, die historischen Zentren waren sicher phänomenal. Aber eher ein Augenblick, ein Staunen. Die Begegnungen sind es, deren Erinnerung mich noch Monate später staunen lässt, eine Gänsehaut hervorruft und manchmal auch Tränen. Tränen der Sehnsucht nach dieser Welt, der Rührung, die Begegnungen auslösen. Das Vertrauen, das mir entgegengebracht wird.

Tayma

Ähnlich wie in Khaybar war ich nahezu alleine in der Stadt. Zwei weitere Touristen erspähte ich. Und wieder war ich DAS Versuchskaninchen für den Tourismus der Zukunft. Die Aufmerksamkeit, die mir zuteil wurde, war überbordend. Viel zu viel für jemanden, die viel schüchterner ist, als sie scheint. Ich wollte mich am liebsten verstecken, in Ruhe alles erkunden. Aber Dutzende Menschen waren nur für mich da und freuten sich wie Kullerkeks, dass ich eine der ersten Besucherinnen dort war. Nach einer Führung gipfelte dies in einer Liveshow unter freiem Himmel. Ca. 70 Beteiligte, Schauspieler auf Pferden und mit Kamelen spielten die Geschichte der Region, professionelle Audioguides im Ohr, ein Spektakel einer Privatshow … wo ist das Loch im Boden zum Abtauchen? Stunden später, in der Nacht noch eine Multivisionsshow. Ich erahne Saudi in wenigen Jahren. Hochprofessionalisierter Tourismus. Und ich bin froh, Saudi heute erleben zu dürfen, in den Babysöckchen. Was für ein Privileg.

Dieses wird mir in Al Ula nochmal richtig bewusst:

Al Ula

Al Ula. Die wohl dritte Region, die einem Halbwissenden einfällt, wenn man nach Saudi fragt. Nach Jeddah und Riyadh. DIE touristische Destination überhaupt. Die Fahrt in der Region ist überwältigend. Man wähnt sich in einem amerikanischen Nationalpark. Eine Landschaft aus unfassbar schönen Bergen, Palmen und einer touristischen Infrastruktur, die überrascht.


Ich erinnere mich an meinen ersten Gedanken: Wow, so viele Touristen sah ich in den drei Wochen zuvor in Summe nicht. Unfassbar, wie sich das sofort in den Preisen niederschlägt. 100 Euro pro Nacht wären ein absoluter Schnapper. Man kommt aber auch locker in vierstellige Bereiche. Weit außerhalb meines Budgets. Die Verzweiflung ist groß und ich sündige. Gönne mir eine Jeeptour und eine Sternennacht in der Wüste. Mit Husaak. Einem der Platzhirsche des Region. „Klappere“ die üblichen Orte der Region ab: Elephant Rock, the Arche.


Und doch sind es wieder die kleinen Momente und Begegnungen, die im Herzen bleiben:

Bei Husaak quälen mich Flashbacks. Ich bin wie versteinert und immer wieder kullern die Tränen. Das Team sieht es mir an und nach einer kurzen Erklärung bieten sie mir einen Platz zum Unterschlüpfen an. Drei Nächte darf ich in ihrer Basis bleiben. Die saudische Mama des Hauses füttert mich fast und man ist so unendlich herzlich und besorgt um mich, dass es mich Wochen und Monate später noch zu Tränen rührt, wenn ich nur daran denke. Wir verbringen die Tage miteinander. Die Jungs schleifen mich raus, lenken mich ab.


Albern herum und langsam wird das Herz ruhiger. Das Vertrauen wächst und ich wage mich weiter. Ich erfahre wirkliche Geheimtipps, so geheim, dass man mich bittet, den Standort dieser Schätze nicht zu verraten, damit nicht Heerscharen von Archäologen und später Touristen hier einfallen. Eine ca. 30 Meter hohe Leinwand voller Felsmalereien. Von der Piste kaum zu erspähen. Man muss klettern und mutig sein, mehrere Meter hoch in ungesichertem Felsen:



Eine Nacht mit Abdul. Nein, nicht, wie ihr denkt! Abdul ist Physiker, Wüstenkind und Sternenfreund. Mit maximal 10 Gästen fährt er tief in die Wüste. Nach zwei Stunden Fahrt ins Nirgendwo landen wir auf einem riesigen Teppich vor einem der typischen Wüstenzelte. Ein internationales Trüppchen aus vier Kontinenten: Brasilien, Australien, Saudis und meinereiner. Eingemummelt in leicht muffige Kamelhaarmäntel liegen wir unterm Sternenhimmel und lernen die beduinische Navigation. Wie finde ich den Nordstern und zurück nach Hause. Abdul lässt uns schweigen.


Kein Rascheln soll die Stille unterbrechen, die keine Stille mehr ist. Leise hört man Füchsenfüchse, die wie Katzenbabys klingen. Ein schier atemberaubender Moment. Und eine Nacht, die früh am Morgen zuende ist. Denn aus der Wüstennachttour wird noch eine religionsphilosophische Runde mit Abdul – und mit der Kernfrage: Glauben wir an den gleichen Gott? Sind Christen keine Monotheisten, weil sie an Jesus als Gottes Sohn glauben? Ist die Dreieinigkeit der Beweis dafür? Bis heute schreiben wir uns und philosophieren weiter.

Die zweite Nacht gehört Hegra. Die kleine und unbekannte Schwesternstadt des berühmten Petra in Jordanien. Ein Insidertipp verrät: Schau es dir bei Nacht an und ich buche. Erwarte nicht viel, für 50 Euro und um die zwei Stunden. Und erfahre wieder eine wunderbare Nacht in Saudi: Mit einer Pferdekutsche geht es durchs nächtliche Hegra. Vorbei an abertausenden Kerzen und einer intensiv beleuchteten Gräberstadt. Meine Bedenken, einen solchen Romantiktrip alleine machen zu müssen, wurden schnell zerstreut, denn neben mir sitzen zwei jungen Frauen aus Nigeria und Südafrika und gemeinsam fahren wir durch die Wüstennacht, schlendern durch die Ausgrabungsstätte und genießen ein Picknick unterm Sternenhimmel. Was für ein Geschenk! Drei Kulturen trafen sich in Saudi




Nach so vielen Gesprächen und intensiven Begegnungen sind die Momente der Einsamkeit immer wieder besonders präsent. Ich besuche einen berühmten Aussichtspunkt mit Blick übers Tal. Möchte mir in einer unendlich stylischen Bar einen Kaffee gönnen und warte. Warte. Warte. Wieder einmal. Der Anblick alleinreisender Frauen ist auch hier immer noch ungewohnt. Woanders begegnet man mit Neugier. Hier mit Ignoranz. Wieder einmal bin ich völlig unsichtbar. Keine drei Meter neben der Bar. Alle Gäste werden bedient. Fast alle. Außer meinereiner. Ich kenne das Schauspiel zu Glück, tappe zur Bar und bestelle direkt. Treffe auf ungläubige Blicke, bekomme meinen Kaffee und weiß jetzt schon – zur Rechnung wird auch niemand kommen. Wieder kläre ich das direkt. Es kostet mitunter viel Stärke und Energie, diesen Momenten bei sich zu bleiben. Auch mit der eigenen Trauer, die zwischen Alleinesein und Einsamkeit mäandert. Lebenslektionen auf Reisen…

Tabuk

Schweren Herzens geht es weiter nach Tabuk. Ich möchte die Gastfreundschaft bei Husaak nicht strapazieren. Bin neugierig und weiß, ich muss es wagen. Um zu heilen. Wieder ein Anfang bei Null. Neues Hotel. Neu orientieren. Neue Menschen. Der Mut wächst mit jedem Tag. Ich traue mich am Abend in die Fußgängerzone und der Kontrast zu Al Ula könnte nicht größer sein. Nur wenige Kilometer und wieder in einer anderen Welt. Wieder der Exot. Sehr einheimisch alles. Ich wage mich am Abend in die Stadt und lande gefühlt wieder mal auf dem Mars. Positiv betrachtet werde ich mich eines Tages fragen, wie es sich anfühlt, wieder wenig bis null Beachtung zu spüren, wie jetzt in Thailand… Dieser Wechsel aus unglaublicher Intensität und Beachtung und gleichzeitig auch wieder totale Ignoranz und das Gefühl, so alleine zu sein. Selten verspürte ich es so wie in diesem Land.

In Tabuk gibt es ein sehenswertes Fort und ein kleines privates Museum. Der geneigte Leser wird es finden, ich werde eher keinen Reiseführer schreiben. Aber bei Fragen gerne…

Mich gelüstete es sowieso mehr nach einem und meinem Roadtrip. Ich liebte lange Strecken. Bis zu 800km schaffte ich am Tag. Von Tabuk aus ging es zum Roten Meer. Ich wollte zu einem gestrandeten Schiffswrack, Catalina, und drehte kurz davor wieder um. Zu einsam… Also auf nach NEOM und in die Spur von „The Line“. Ich dachte, ein paar Baustellenbilder wären nett, aber ich erwartete nicht eine gigantische Baustelle auf unzähligen Kilometern. Eine Infrastruktur dafür, die nur erahnen lässt, wie ernst es das Land damit meint. Und ausnahmlos jeder Saudi, mit dem ich sprach, sprach voller Begeisterung und Hochachtung für das Projekt. Davon, dass die Beduinen Millionenentschädigungen für ihr Land erhalten, ein Vielfaches vom Grundstückswert. Ich hörte nicht eine kritische Stimme und ich denke, ich hätte es zumindest gespürt, wenn die Begeisterung nicht echt wäre. Aber sie war es. Die Hochachtung, mit der über die königliche Familie gesprochen wurde, war beeindruckend. Aus meinem Gefühl heraus authentisch und sehr ehrlich. Immer und immer wieder. Auch und oft ungefragt. Ich weiß, dass der Westen zu gerne schlechte Nachrichten lesen würde, aber damit kann ich nicht dienen. Es wäre wunderbar, wenn dieser Fokus sich eines Tages ein bisschen verschieben würde. Heraus aus unserer westlichen Arroganz. Hinein in eine Neugier und ein ehrliches Interesse in ein Land und in Menschen, die es verdient haben.

Mein Weg führte mich an der Küste entlang nach Norden. Eine atemberaubende Küstenstraße bis nach Jordanien. Immer wieder hielt ich an und holte tief Luft.

Konnte kaum glauben, wie unfassbar schön und einsam dieser Landstrich noch ist.

Wie wird es wohl in ein paar Jahren ausschauen?

Unendlich dankbar bin ich, dass ich diese Gelegenheit nutzen konnte und das Paradies noch für mich alleine hatte. Zurück über Madyan ging es nach Tabuk. Madyan ist ein phänomenales Beispiel für den saudischen Tourismus in den Babysöckchen. Eine der bedeutendsten Ausgrabungsstätten im Land. Keiner kennt es, nicht ausgeschildert und vor Ort nahezu keine Infrastruktur. Ich hatte es für mich alleine und langweilte mich. Bereute 150km Umweg und finde es rückblickend überaus amüsant.

Al Disah

Der wohl wichtigste Grund, nochmal so weit in den Norden zu düsen, war ein Ort der Sehnsucht. Das Wadi al Disah. Fotos versprachen ein Paradies auf Erden. Ein Wadi wie es kitschiger nicht sein könnte. Und ich recherchierte gefühlt endlos. Checkte Allrader. Geführte Touren. Fragte mich durch und fand nichts. Wusste, dass es alleine schwer wird. Also ließ ich es los und dann funktionierte es, wie es in Saudi immer wieder funkioniert: Kennst du einen, kennst du alle. Über Facebook hatte ich einen Kontakt in Riyadh, der zufällig gerade in Tabuk war und mir Ibrahim vermittelte. Ein offizieller Tourguide. Nach einem kurzen WhatsApp Austausch verabredeten wir uns auf ein kurzes Treffen in der Lobby im Hotel und nachdem diese vertrauensbildende Maßnahme durch ein Höchstmaß an Sympathie gekrönt war, ging es am nächsten Morgen los. Die Fahrt war ein Traum – ich kam aus dem Staunen nicht heraus und mir wurde immer wieder versichert, warte nur ab, es kommt besser und es kam besser. Der Weg ins Wadi, ich kämpfte endlich wieder mit den Glückstränchen und dazu ein überaus charmanter und gebildeter Guide. Gefühlt endlos konnten wir miteinander reden, lachen, waren neugierig auf unsere Kulturen, die Unterschiede und Gemeinsamkeiten. Die Höflichkeit, Aufmerksamkeit, Fröhlichkeit, gesunde Distanz und kommunikative Nähe machten diesen Tag zu einem der schönsten Tage in Saudi überhaupt. Danke, Ibrahim, du bist ein grandioser Guide!

Unter www.north-destination.com könnt ihr Kontakt aufnehmen.

Von Tabuk nach Riyadh sind es satte 1500km. Also blieb ich für einen Zwischenstop in Haíl und besuchte:

Jubbah

Lektion des Tages: Vertraue keinem Urteil eines Touris! Jubbah wurde mir eigentlich abgeraten. Ein paar Zeichnungen in den Felsen gekratzt und das wars. Lohnt sich nicht, deswegen knapp 200km Umweg zu fahren. Ich hatte Zeit und so wagte ich es dennoch. Fand tatsächlich ein paar Zeichnungen in den Felsen gekratzt und hatte Zeit, viel Zeit. Die paar Besucher, die ich sah, blieben eine halbe Stunde und verschwanden dann wieder. Ich kletterte zwischen den Felsen herum und entdeckte wahre Schätze. Wie ich recherchierte gibt es auf fast 40qkm hunderte Zeichnungen, bis zu 10.000 Jahre alte. Viele sehr verborgen, auf herabgestürzten Felsen, in abenteuerlichen Höhen. Stunden verbrachte ich in der Region und suchte ein Motiv und fand es nicht – einen Streitwagen. Also tappte ich zum Büro der Anlage und fragte mich durch und siehe da: Bestimmte Bilder sind den ausdauernden Besuchern vorenthalten. Ich musste Name, Adresse, Telefonnummer und Passdaten hinterlegen und bekam einen persönlichen Führer, der mich 5km mit dem Motorrad durch die Felsen lotste, bis ich an die wahren Schätze kam. Verborgen, nur für die Besucher, die sich wirklich die Zeit nehmen. Auch eine interessante Form der Reglementierung des Massentourismus. Wie wird das hier wohl in 5 Jahren ausschauen?


Voller Elan in Anbetracht eines solchen Ereignisses wagte ich die nächste Stufe auf der Mut-Treppe: Alleine essen gehen, in der tiefsten Pampa. Meine saudische Diät bestand zumeist aus Bananen und Nüssen. Leicht zu erwerben und erspart mir die Peinlichkeit, in einem Restaurant alleine essen zu müssen. Aber ich hatte Hunger und Dr. Google schwärmte von einem sensationellen Lokal für indischen und pakistanische Wanderarbeiter. Ich wagte es und gut zwei Dutzend Straßenarbeiter fanden meinen Auftritt überaus amüsant. Ebenso das Personal. In einer eher dreckigen Spelunke gab es feinste indische Kost und ich orderte einen ganzen Beifahrersitz voll mit Hühnchen, Reis, Gemüse, Salat, Hummus, Getränke, Kaffee… und für die fast dringliche Einladung, im Lokal zu essen, fehlte dann der Restmut. Für knapp 10 Euro düste ich davon und hielt im nächsten Straßengraben wieder an. Um mir voller Gier eine der wenigen richtig genialen Mahlzeiten in Saudi reinzupfeifen. Ich muss reichlich verzweifelt ausgeschaut haben. Ein Auto hielt an und man fragte, ob ich Hilfe brauche. NEIN, ich sterbe nur fast vor Hunger.

Auf dem Weg nach Riad warteten noch zwei Stationen auf mich und ich wollte in Burraida und Ushaiquir noch längere Pausen einlegen. Burraida soll ein wunderschönes kleines Nest mit einem tollen Museum und einem FrauenMarkt sein. Mein idealer Abschluss. Aber wieder einmal überraschte mich Saudi-Arabien, oder auch nicht. Das Museum war geschlossen und von dem berühmten FrauenMarkt war nichts zu sehen.

Burraida und Ushaiquir

Besser kann sich das Land nicht verabschieden. Denn immer wieder kam ich genau in solche Situationen. Es war unfassbar schwer, irgendetwas zu planen. Zeiten und Ziele und Orte stimmten häufig nicht. Flexibilität ist zwingend notwendig und so fuhr ich einfach weiter nach Ushaiquir, gegen den Rat eines Saudis. Er meinte, diese Stadt könnte man sich sparen.

Zum Glück war ich stur genug, und außerdem wollte ich diese Strecke sowieso fahren, weil sie noch einmal ein ganzes Stückchen wunderbare Wüste mitnahm.

So landete ich in einem bezaubernden kleinen Ort. Wanderte durch die Gassen und hatte auf einmal eine kleine Patschehand in meiner. Talil hieß der junge Mann. Ein vierjähriges Bübchen. Rotzfrech und noch mit Windeln. Offensichtlich schockverliebt in mich ließ er mich nicht mehr los und seine Eltern fühlten sich genötigt, mich zum Essen einzuladen. Dieser Nachmittag mutierte zu einem ganz besonderen Schauspiel als Abschluss: Talil war nicht nur ein aufgewecktes Kerlchen, er litt auch unter einer akuten ImpulskontrollStörung. Schlug auf seinen Vater ein, der nur noch verzweifelt lachte. Und ich schmiedete schon einen pädagogischen Plan, falls der kleine Frechdachs auch auf mich losgeht. Was er aber nicht tat. Im Gegenteil. Seine kleinen Arme schmiegten sich um meinen Hals und er kam mir fast zu nahe, drückte mir ein Küsschen auf die Wange und erklärte seiner Mutter, dass er mit mir mitgehen wird. Seine Mutter zeigte auf ihren Gatten und meinte nur ganz trocken: „und den kannst du auch gleich mitnehmen!“ Das war nicht die einzige bemerkenswerte Begegnung mit unglaublich starken, saudischen Frauen und nicht selten hatte ich Mitleid mit so manchem Mann…

Keine 2 Stunden später stoppten mich auf der Autobahn auf dem Weg nach Riyadh zwei Grazien und brüllten aus dem Fenster, ob ich Instagram hätte. Wir hielten mitten auf der Autobahn an, schossen ein paar Fotos und ich frage mich bis heute, ob die Bilder wirklich real sind. Zwei junge Damen, bauchfrei, mit aufgespritzten Lippen und offensichtlich falschen Brüsten. Wäre das euer Bild von diesem Land gewesen?

Ich wurde immer wieder eines Besseren belehrt und stellte fest, dass nur wenig so ist, wie man es sich wirklich vorstellt. Ein Land voller Gegensätze zwischen Tradition und Moderne. Ein Land, voller wunderschöner und selbstbewusster Frauen und nicht selten verunsicherter Männer. Voller Stolz mit Blick auf ihre Geschichte und Tradition. Und auch voller Stolz für das Königreich und die Entwicklung in dem Land. Ich wünsche mir nichts mehr, als dass mehr Menschen einen eigenen Blick in diese Welt wagen und feststellen, dass es so viel gibt, was uns miteinander verbindet. Und dass das, was uns scheinbar trennt, einfach nur symbolisch für die Vielfalt der Menschheit ist. Ich wünsche mir von Herzen, dass wir mit offenem Herzen aufeinander zugehen können. Unsere Vorurteile ablegen oder zumindest erst einmal überprüfen. Das Gespräch suchen. Es wird voller Dankbarkeit angenommen. Wenn wir Fragen stellen und bereit dafür sind, wunderbare Menschen in einer scheinbar fremden Kultur kennen zu lernen. Und festzustellen, wir sind uns viel näher, als wir uns das hätten vorstellen können. Voller Dankbarkeit verlasse ich das Land. Bin unendlich stolz auf meinen eigenen Mut und werde noch lange in Kontakt mit den Menschen dieses Landes bleiben. Voller Gewissheit, dass ich eines Tages wiederkehren werde. Und voller Motivation, für mehr Toleranz, einen offenen Blick, offene Herzen und Mitmenschlichkeit zu kämpfen.

Dankeschön, Saudi-Arabien! Du hast ganz viel Sonne im Herzen hinterlassen. Genug, um den kleinen Schatten zu überblenden!



 

 

 

 

 

5 Comments

  1. Ibrahim Alatawi

    I could not forget our trip to Al Disah. Thank you for mentioning my name in the post

    Ibrahim

  2. Joachim Schönknecht

    Toll gemacht liest sich gut. Gruß Joachim

  3. Gabriele Fürstenberg

    Danke für diesen unglaublich schönen, interessanten, nachdenklich-klugen Bericht und den tollen Fotos! Er hat mich bestärkt, dieses Land, das ich schon lange auf meiner Wunschtraumreiseliste habe, nun wirklich in absehbarer Zeit zu besuchen. (Eigentlich hätte ich in der vergangenen Stunde etwas arbeiten müssen, aber ich konnte nicht aufhören, weiterzulesen – ich war/bin einfach fasziniert!)

  4. Johanna

    Du hast mein Herz tief berührt mit Deinen Worten über die Menschen und ihr Land. Ich konnte nicht aufhören zu lesen und das Licht der Bilder in mich einzusaugen.
    Dein Bericht hat mich glücklich gemacht. Danke…..

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