Gerade stöbere ich in meinen Dateien auf dem Rechner herum. Warte auf eine E-Mail, die die Voraussetzung dafür ist, dass ich weiter arbeiten kann. Da fällt sie mir nach langer Zeit mal wieder auf. Meine „Reise ins INMICH“. Fliege so über knappe 60 Seiten.
Genau acht Monate ist es her. Da brauchte ich eine Auszeit. Zeit für mich. Und ich nahm sie mir. Zehn Tage entdeckte ich Englands Süden, schrieb Tagebuch. Weniger aus Überzeugung, eher aus Mangel an Kommunikation. Mein Englisch war für anspruchsvolle Gespräche zu verschüttet und nur der Gedanke an Smalltalk über englisches Wetter oder schreckliche kulinarische Fehltritte ließ mich verstummen. Also hockte ich mich bei allen möglichen Gelegenheiten in irgendeine Ecke und beobachte dieses lustige Inselvolk:
Besonders des Engländers Draht zu Kindern faszinierte mich. Eine Mischung aus fürsorglich und abgedreht. Barfuß sausen dort die Zwerge am Strand und sogar bei McBlöd herum, wenn ich noch in Winterkleidung bibber. In südenglisch-nasser Kälte werden die armen Fish&Chips-geschädigten Moppelchen abgehärtet. Und die Oberkrönung: Kinder laufen an der Leine! Beim ersten Zweijährigen an der Hundeleine dachte ich noch an einen schlechten Scherz auf Basis urenglischen Humors, aber schnell ging mir auf: Hier laufen eher die Hunde als die Kinder frei herum. Es gibt Rucksäcke oder Geschirre, die mit einer Ein-Meter-Leine den direkten Draht zu den Eltern sicherstellt. Und da diese ja ebenfalls gut Fish&Chips-geschädigt sind und kaum aus der hüftgoldüppigen Hüfte kommen, laufen die Adults langsam, sehr langsam, das Kind an der Leine, mit Kartoffelchipstüte in der Hand. Nein, ich übertreib nicht, es war so, nicht nur einmal.
O.k., ich muss eine Lanze brechen. Offensichtlich ist England dennoch sehr kinder- und familienfreundlich: Viele Spielplätze, Ermäßigungen für Familien und Essengehen mit den kleinen fettwerdenden Insulanern (verdammt nah an Insulin, das Wort … Willkommen im Land der Diabetikerglücksseligkeit) ist richtig günstig: Kids4free! Sehr oft sieht man, dass Kinder umsonst essen, oder nur einen symbolischen Beitrag von einem Pfund zahlen müssen. Bös vermutet wäre es das Anfüttern künftiger Kunden, aber ich bin ja nicht bös. Des Zwerglein liebste Freizeitbeschäftigung nach dem Vertilgen fettiger Produkte der chemischen Industrie und dem Laufen an der Leine ist der Besuch von Spielhöllen und abgehalfterten Rummelplätzen.
Ich hab noch nie so viel davon auf einem Fleckchen gesehen. Ich wollte damals schön auf der Pier wandeln, ein Schoko-Mint-Eis genießen und mit Musik im Ohr chillen … Und landete inmitten einer Spielhölle! Die ganze Pier war gefüllt mit Spielautomaten, Schießdingsdabums, Videospielen, Ichgewinneeinemünze-Automaten, Minigokart … Nie werde ich hier meine Kinder herschleppen, die bekommen ja einen Vollschaden!
Meinen Gedanken nachhängend, träumend von der wallisischen Küste, die irgendwann mal das nächste Inselziel sein soll, macht es „BING“ … Die erwartete E-Mail ist gelandet und ich tauche wieder unter. Das Gothardusfest fesselt meine Aufmerksamkeit und will in anständige Sätze gepackt werden.