Die Geisel der Erreichbarkeit

Neulich stand ich an der Kasse, drei Kunden warteten vor mir und so hatte ich locker fünf Minuten Zeit. Automatisch griff ich zum Handy. Checkte fix die E-Mails und schaute im „Gesichtsbuch“, ob es was Neues gibt. Ich war mit Bezahlen dran, stopfte das Handy fix in die Hosentasche, um meinen Check später auf dem Weg zum Auto fortzusetzen. Den Einkauf verstaut, auf den Fahrersitz sinken, innehalten. `Livia, was tust du hier`, schoss es mir durch den Kopf. Da nutze ich die freien Sekunden Wartezeit immer und immer wieder im Laufe eines Tages, um auf ́s Handy zu schauen.

Was glaubte ich zu verpassen? Die neueste Pressemitteilung? Den Post, was Freunde zum Mittag essen? Das aktuelle Funny-Video von Bekannten? Wie oft waren da Mitteilungen von Wert und Wichtigkeit dabei? Selten und wenn, dann klingelt eher das Telefonino, als dass mich ein Post erreicht. Und die beruflichen Verpflichtungen erwarteten doch nicht eine Reaktion innerhalb von Minuten, oder?

Seit 1997 bin ich mobil erreichbar. Was für eine Ära begann: Für mein türkisfarbenes Hörermonster hätte ich einen Waffenschein gebraucht. Fast 25 damals noch Deutsche Mark alleine an Grundgebühr, 1,79 pro Minute und 15 Pfennig die SMS. Da überlegte man es sich genau, ob es die Mitteilung oder den Anruf brauchte. Bis dahin hatten Telefone für mich eine Strippe und ich kann auf 15 Jahre DDR zurückblicken, in denen meine Familie und ich telefonisch überhaupt nicht erreichbar waren.

16 Jahre später werden mehr Smartphones als klassische Handys verkauft. Dank All- Net-Flat sind wir immer und überall mobil verfügbar. Smartphones sind Mini- Computer, fotografieren, speichern Informationen, ersetzen Bücher, Lexika, Landkarten, den Supermarkt, die Zeitung … Fast schon selbstverständlich liegen Eierfön, Galaxy und Co. beim Gespräch auf dem Tisch und der Blick geht immer wieder auf ́s Display. SMS werden gelesen, Posts beantwortet und was mich ehrlich gesagt richtig nervt: Das klingelnde Teil wird einfach mitten im Gespräch ans Ohr gepappt und ich muss einem Telefonat folgen, an welchem ich keinen Anteil habe. Abgesehen davon, dass dies nach Knigge ein absolutes No-Go ist, kann man das Telefon nicht leise stellen und im Notfall vor der Tür ein Gespräch annehmen?

Und ich bin selber eine Geisel der Erreichbarkeit geworden: Gehe nicht mehr ohne Äppelchen aus dem Haus. Verbinde selbiges via Bluetooth mit dem Auto, damit ich dort ungestraft schwatzen kann. Checke in freien Sekunden E-Mails und soziale Netzwerke. Verdammt. Warum? Muss ich dringend mal drüber nachdenken und wieder öfter mal Ausschalten, oder zumindest leiser stellen. Ich bitte um Nachsicht, falls ich also mal nicht gleich rangehe oder später über den Messenger antworte.

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