Eigenes Lager oder Feindesland?

Meine Technikverliebtheit ist nun eher ein offenes Geheimnis und so verwundert es nicht, dass ich am vergangenen Dienstag mein Schneetier sattelte, einen lieben Kollegen und Freund einsammelte und gen Westen ritt.

Preisfrage: In welcher deutschen Stadt trinkt man verdünnten Hopfenblütentee aus Schnapsgläsern? Köln! Meine liebe Freundin A. würde mich dafür zwar wieder mit dem Bösen-Kölschen-Mädel-Blick strafen, aber da muss sie nun durch. Und außerdem wollte ich ja nicht zum Promilletanken auf schlechten Straßen durch Hessen und NRW tuckeln, sondern um meiner Liebhaberei zu frönen. Die Photokina schien dafür das perfekte Ziel meiner unstillbaren Begierde. Alle zwei Jahre findet auf einem gewaltigen Messegelände mit Blick auf den Prachtbau architektonisch formvollendeter katholischer Scheinheiligkeit die weltgrößte Fotomesse statt. Wer vor dem Zehn-Uhr-Einlass ein wenig eher da ist, dem bietet sich ein sehenswertes Schauspiel. Das Verhältnis zwischen Anzug-mit-Krawatte-Trägern, Rucksack-Trolley- Foto-Gepäckschleppern, Fernost-Mikroelektronik-Vertickerern und Kugelschreiber- Gummibärchen-Plastetüten-Schnorrern ist ausgeglichen!

Die Anzugfraktion bleibt unter sich, die mischt sich nicht freiwillig unter das gemeine Volk, sondern führt wichtige interne Verkaufsgespräche hinter angelehnter Tür zwischen Gipskartonplatten bei staubtrockenem Mürbeteiggebäck und Igittipfui- Filterkaffee. Nur ihr Blick verrät bereits: Wenn du kein Millionen-Geschäft mit mir machen willst – sammle Kugelschreiber und Bonbons von den Tresen!

Der kundige Fotograf erkennt seinesgleichen natürlich sofort: Die Protzer mit mittleren Vollformatkameras und oberen HighendKlassen tragen ihre Schätzchen lässig auf der Schulter. Ganz klar formieren sich zwei Fraktionen mit japanischen Wurzeln: Nikon und Canon stehen sich gegenüber. Unwillkürlich, nein, automatisch geht der Kennerblick Richtung Hosenbund und checkt die Lage – mein Lager oder Feindesland? Die Minderheit versteckt die Wertanlage in Trolleys oder Rucksäcken … sehen und gesehen werden ist das Motto!

Die Verticker von zumeist hochgradig minderwertiger Fernost-in-Plastemurks- verbauter-Mikroelektronik fallen durch ihr festgezurrtes Dauergrinsen auf. Man bekommt die armen Jungs einfach nicht aus der Reserve. Nur mikrofeine Gesichtszugentgleisungen lassen erahnen, wie taktlos man ankommt, wenn die Billigchinaware als Mist enttarnt wird. Untereinander sind vor allem die Japaner eine Augenweide: Ein älteres Pärchen schlich durch die Reihen und kam kaum vorwärts, immer wieder schob sich ein DauerVerbeuger in den Weg. Nein, ich frag mich jetzt nicht kulturell taktlos, warum die immer versuchen, einen Diener mit durchgestreckten kurzen dürren Beinchen bis zur Fußspitze hinzubekommen!?

Meine LieblingsMesseLästeropfer sind aber ganz klar die Jäger und Sammler. Allein um diese Spezies Mensch zu beobachten, sollte man sich einen Tag Zeit nehmen: Mit dem Sternzeichen Adler und dem Aszendenten diebische Elster auf die Welt gepurzelt, starten sie Punkt Zehn im gestreckten Schweinsgalopp ihren Beutezug. Hier offenbart sich ein klares Beuteschema:

Zum Beutemachen braucht es Beutel! Genervte Messemiezen halten zu diesem Zwecke abertausende bunt bedruckte Beutebeutel bereit. Die Krönung: MessePappschachtelTrolleys. Die waren der Hit. Ein halber bedruckter Umzugskarton wurde auf ein Billiggestell gepappt und die Beutejäger zogen los um auf Beutejagd zu gehen.

Das Beutegut reicht von bedruckten Gummiviechertüten, Pfeffis, über Fotobuchwerbung, Schlüsselbändern bis hin zu Kugelschreibern. Dreifix in den Trolley geflackt und von Stand zu Stand getingelt. Die Mutigen quatschen die bezaubernden irgendwieallegleichausschauenden Messemiezen direkt an. Die Schüchternen klemmen sich hinter die Mutigen und gleichen ihr selbstwertes Defizit mit Geschwindigkeit aus: Messemieze legt das Objekt der Begierde auf den Tresen und mit TGV-schneller Hand schnappt der stumme Beutejäger zu.

Nun haben diese Beutejäger auf einer solchen Fotofachmesse eher eine fragwürdige Daseinsberechtigung. Da sie sich dieser offensichtlich bewusst sind, ziert zumeist eine niedliche Spaßknipse für 29,99 Euro vom Discounter die schmale Männerbrust. Schmal, weil die Brust im Vergleich zu dem gewaltigen Bierkesselausmaßen wahrlich schmal erscheint. Dieser Fernostchip mit eingebauter Linse hat auch den Vorteil, dass sich der testosterongeplagte Elster-Adler ungeschoren anderen Objekten der Begierde nähern kann. Lange blonde oder schwarze Haare, kurzes Röckchen, wohlgeformte Beine, bezaubernd-festgezurrte nach oben gezogene Mundwinkel. Sie präsentieren Fototechnik und müssen es sich gefallen lassen, permanent als ewig unerreichbares Objekt der Begierde abgelichtet zu werden.

Aber genug der Lästerei! Zurück zum Ernst der Sache, nein, zum Vergnügen – MEIN Fotostand musste es natürlich zuerst sein! Die Schätzchen in der Hand halten. Cleverchen hatte natürlich einen eigenen zweiten Chip dabei und testete sich durch. Viele, viele Tausend Euro hielt ich in der Hand und träumte und träumte und träumte … und gestand mir ein, das ist eine Nummer zu groß für mich. Danach wurde die Konkurrenz unter die Lupe genommen und die eh schon gewisse Gewissheit vergewissert – da, wo du bist, da sollst du bleiben. Fremdgehen ist nicht auf dem Plan. Als erfahrene Messebesucherin und Selbermalausstelleringewesene zögerte ich die Nahrungsaufnahme hinaus. Irgendwann meldete sich doch der Hunger und riss ein tiefes Loch in die Reisekasse. In den Tempeln pseudokulinarischer Unverschämtheiten bildeten sich DDR-vergleichbar-lange Schlangen. Keiner wusste so recht, was es geben wird, aber man stellte sich dennoch an und fügte sich ergeben dem euro-teuren Schicksal. Jede noch so windige Autobahnraststätte hätte das kulinarische Herz mehr verzückt. Nun ja, der Hunger treibts rein, der Geiz schluckt ́s runter – das staubtrockene Ciabatta mit Zwischendenzähnenquietsch-Mozzarrella und schmaler Hollandtomate für knappe 6 Öcken. Den gesunden Salat für 13 Teuronen oder die labberige Eierteigware in Matschepampe für 15 Taler knick ich mir.

Ehe man gefühlt bis drei zählte, wurden die Beine lahm, das Auge von den Menschenmassen satt, das Ohr ortete nur noch tinitusähnliches Rauschen und der Heimweg wollte angetreten werden. Yeti, das Schneetier gesattelt, 325km nach Hause gedüst und glücklich. Um die Erkenntnis reicher, welche Kameras alle nie in Frage kommen werden und welcher Pistolengriff der perfekte für das Stativ ist. Es hat sich gelohnt. In zwei Jahren ist es wieder soweit, ich werde wieder dabei sein. Mit Adleraugen für die neuesten Spielereien und ohne Elsterfinger, naja, ein Nikon- Schlüsselband klaubte auch ich vom Tresen, ich gestehe …

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