EU(RO)PHORISCH

Mit Worten kann man mindesten genauso gut treffen wie mit Fäusten. Meistens sogar nachhaltiger, verletzender. Ich weiß, dass ich das besonders gut kann. Vor allem in Diskussionen, in denen ich selber noch nicht so ganz rund mit mir bin. Mein eigener Standpunkt noch unklar ist, sich entwickelt. Dann kann ich abwürgen und aussteigen und dann sieht es so aus, als wäre ich stur und zickig und kompromisslos. Bin ich aber gar nicht, ich brauche nur Zeit und einen geduldigen Diskussionspartner.

Ein typisches Beispiel aus der Praxis livianistischer Sturheit war das Thema Europa. Als politikinteressierte Leserin und Journalistin offenbarten sich mir unzählige Quellen. Eine Flut an Informationen. Ich war selber kaum noch in der Lage, diese zu filtern. Richtig und falsch auseinander zu halten. Schlagzeilen über europäische Misswirtschaft fern der Realität, BürokratenPolitik überbezahlter LuxusSesselHüter, der ideale Krümmungsgrad der europäischen Gurke, das Idealvolumen genormter Kondome und nicht zuletzt die ÖlKännchenAffäre prägten auch mein Bild der europäischen Union. Ich liebäugelte mit den radikalen Gedanken scharfer Eurokritiker. Konnte mich für die Wiedereinführung der so hart erkämpften D-Mark begeistern. Und ich gebe zu, in so manchen Diskussion war ich sicher nicht die angenehmste Partnerin zum Schlagabtausch.

Aber das Schicksal des Lebens ist fair. Und manchmal auch überaus großzügig. Und so ergab es sich, dass seitens des Thüringer Justizministeriums mir eine Pressereise nach Brüssel ermöglicht wurde. Charlie und seine drei Engel waren begeistert. Vier curcumanisch-mediale Sprachbegeisterte packten die Trolleys. Schlugen sich zwei Nächte um die Ohren und eroberten die belgische Hauptstadt. Ein Programm der Extraklasse erwartete uns. Kein Männeken Piss, kein Sightseeing, kein Atomium, keine belgischen Waffeln, nicht mal eine Portion der legendären Pommes war drin. Schließlich führte uns nicht das Vergnügen nach Brüssel, sondern die Arbeit. Die Arbeit an uns. Die Frage nach unserem Standpunkt, unserem Verständnis für europäische Politik. Ein überaus dichtes Programm. Menschen, die den Motor Europas am Laufen halten, durften wir begegnen. Ihnen Fragen stellen, kritische Fragen. Ausnahmslos Menschen mit Sachverstand, einem Wissens- und Erfahrungsschatz, der mich demütig werden ließ. Gepaart mit Humor und Selbstkritik. Offenen Ohren für unsere Fragen, Anregungen.

Es dauerte nicht lange und meine wohl gepflegten Vorurteile, medial erhaschten Phrasen und mangelhaft hinterfragten eurokritischen Gedanken gerieten ins Wanken. Mächtig! Nein, ich wurde keiner Gehirnwäsche unterzogen. Ich durfte weiterhin kritisch bleiben. Aber ich musste feststellen, dass mein Bild von Europa lächerlich weit an der Oberfläche der Banalität und des Halbwissens plätscherte. Innerlich beschämt musste ich mir gegenüber große Wissenslücken zugeben. Lücken machen ignorant oder hungrig. Und ich wurde hungrig. Hungrig auf Informationen. Ich saugte diese auf bis zur Schmerzgrenze. Nach stundenlangen Gesprächen fühlte ich mich ausgelaugt und gleichzeitig energiegeladen. Kurzzeitig war die Grenze der Aufnahmefähigkeit immer wieder mal erreicht. Aber ich wollte die Zeit nutzen. Mitnehmen, so viel es mir möglich schien. Diese einmalige Chance nutzen und wertschätzen. Dankbar zu sein, dass sich so viele Menschen die Zeit für uns nahmen.

Ich wurde nicht überzeugt, dass Europa genau das richtige für uns ist. Ich habe es gefühlt! Ich bin eine von 82 Millionen Deutschen, 500 Millionen Europäern und 7 Milliarden Weltbürgern. Lächerlich. Was nehmen wir Gothaer, Thüringer und Deutschen uns so wichtig? Ein kleiner Klecks auf der Landkarte sind wir und halten uns für den Nabel der Welt. Wir hocken inmitten unseres Tellerchen und schaffen es nicht, über den Rand zu schauen. Der kurze Blick über diesen Tellerrand hat mich tiefenentspannt. Mir Visionen eröffnet, wohin mich der Weg führen kann, dazu irgendwann mal mehr. Bis dahin versuche ich die Schlagkraft meiner Worte besser zu dosieren.

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