Als kleines Mädchen liebte ich den botanischen Garten. Oft entdeckte ich in meiner Geburtsstadt Jena die Wege dieser grünen Ausstellung. Ich schlenderte durch die Außenanlagen, träumte mich beim Anblick eines Gingko-Baumes ins ferne Asien. Nahm mir ein Blatt mit, trocknete es und hatte ein schönes Lesezeichen. Besonders gerne war ich in den tropischen Gewächshäusern. Während anderen Besuchern bei der feuchtheißen Luft der Atem wegblieb, fühlte ich mich hier wohl. Lange konnte ich verweilen und staunen. Fühlte mich der großen weiten Welt näher, weil hier Pflanzen vom anderen Ende der Erde wuchsen. Ich träumte mich in die warmen und heißen Länder, konnte ewig stehenbleiben und meinen Gedanken nachhängen. Oh wie sehr wünschte ich mir, eines Tages die Welt entdecken zu dürfen. Bücher, meine Postkarten- und Briefmarkensammlung und vor allem der Botanische Garten in Jena ließen mich auf GedankenReisen gehen.
Besonders die Lotuspflanzen mochte ich. So groß wie kleine Boote waren sie. Ich glaubte fast, sie könnten mich tragen. Die Faszination der Pflanzen war aber auch noch anderen Ursprunges: Die Wassertropfen auf den Blättern sahen aus wie kleine Glasmurmeln. Fast rund perlten sie an der Oberfläche des Blattes ab. Ich versuchte einen Stein auf den Tropfen zu werfen und wenn ich tatsächlich mal traf, kullerte sich das Wasser doch wieder zu einem Tropfen zusammen. Wie beeindruckend! Mit kindlicher Neugier entdeckte ich den „Lotus-Effekt“. Geschlauschlumpft hat es Folgendes mit dem Lotus-Effekt auf sich: Seit Mitte der 90er-Jahre nutzt die Wissenschaft diese Entdeckung. Eine komplexe mikro- und nanoskopische Architektur der Oberfläche verringert die Haftung. Dies führt dazu, dass das Wasser abgewiesen wird und auf seinem Weg auch Schmutzpartikel mit sich nimmt. Pflanzen schützen sich mit dem Effekt gegen Mikroorganismen, Krankheitserreger, Pilzsporen oder Algen. Tiere wie Schmetterlinge, Libellen und andere Insekten lassen Feuchtigkeit und Schmutz von ihren Beinchen abperlen. Selbstreinigende Gläser finden wir an Gebäuden, Autos und Kameras. Es gibt sogar beschichtete Textilien, die sich beim Waschen leichter reinigen lassen. 2010 wurde der Einsatz von sogenannten superhydrophobe Oberflächen auf Schwimmanzügen verboten, weil diese die Wettkampfzeiten erheblich verbesserten.
Noch heute faszinieren mich Lotuspflanzen. In die große weite Welt muss ich mich nicht mehr träumen. Oft nutzte ich die Gelegenheit, diese zu erobern. Ich war in Asien, Nordafrika und in ganz Europa unterwegs.
So eine Lotus-Oberfläche hätte ich auch manchmal gerne. Als eine Art äußeres Schutzschild, an dem sich einfach mit Wasser der Dreck anderer abwaschen lässt. Rückstandsfrei, einfach weg damit. Was zurück bleibt, ist rein und sauber. Und der Schmutz kehrt dort hin zurück, wo er hergekommen ist.
Was für ein Traum wäre es doch, wenn das, den andere tagtäglich bei uns abladen, uns nicht mehr erreicht, an uns abperlt?
Die großen Esoteriker leben da viel gelassener. Sie glauben fest daran, dass nur positive Energie sie erreicht und negative Energie siebenfach zum Verursacher zurückkehrt. So ein Gedanke tröstet einen glatt in manchen Lebenslagen …
Ich träum derweil weiter von einem Leben wie ein Lotusblatt.