Es ist kurz nach drei, mitten in der Nacht. Wieder eine dieser verdammten Nächte, in denen gar nichts geht. Bleierne Müdigkeit liegt über dem Körper. Die Lider kleben immer wieder schwer aufeinander. Der Blick verschwommen, nur in Schleiern und schemenhaft kann ich wahrnehmen, sehen. Maulfaul. Müde. Pappensatt. Dennoch das Bedürfnis mich mitzuteilen, wacher Geist, Heißhunger auf energiespendenden Zucker. Die Finger scheinen die letzten zu sein, die schlafen mögen, sie fliegen in solchen Momenten immer wieder erstaunlich sicher über die Tasten.
Wendemomente im Leben rauben den Schlaf. Vor allem aber nagen sie an der Sonne im Herzen. Dem Grundbedürfnis nach innerem Frieden, Gelassenheit und Zuversicht. Ein Grundbedürfnis, welches ich fast trotzig und rücksichtslos gegen die Widrigkeiten des Lebens und Alltags verteidige. Weiß, dass die Gegenliebe für den eigenen Egoismus nicht immer groß ist oder auf Verständnis trifft.
Aber ist es nicht entscheidend, einfach so zu leben, dass sich das eigene Leben lebenswert, liebenswert und lachenswert gestaltet? Wie weit muss man die eigenen Bedürfnisse an denen der anderen ausrichten? Ab wann ist man Egoist, Egomane, Egozentriker mit negativer Assoziation? Ist dieses EGO wirklich so schlimm und verdammenswert? Ist Ego nicht eigentlich der Sinn für das ICH, das Bewusstsein, den Selbstwert? Wo hört das eigene ICH auf und wo fängt die Verpflichtung für das WIR an?
Ich kannte da mal einen jungen Mann. Ein hübscher Kerl. Erfolgreich. Ein überaus sonniges Gemüt, wie man es viel zu selten in diesen Breitengraden findet. Er lebte das Pippi-Langstrumpf-Prinzip. Wenn ich am Hadern und Verzagen war, kam er mit dem Spruch: „Mach ́s wie Pippi“. Und er lebte es mit einer Wonne und Sonne im Leben. Urtiefes Grundvertrauen in die Welt, die Türen seines Haus standen offen, auch, wenn er nicht da war. Geduldig und voller Vertrauen auf die Entscheidungen im Leben, die sich einfach so fügen. Großzügig. Gelassen. Authentisch. Fast wie von einem anderen Stern machte er sich die Welt, wie sie ihm gefällt. Und prägte mich.
Die Kraft positiver Gedanken wird immer noch unterschätzt. Sie steuern den Zug des Lebens, stellen die Weichen. Das Herz fällt die richtigen Entscheidungen. Ich kenne keine erzwungene Entscheidung in meinem Leben, die letztendlich richtig war. Wenn ich mit Krampf einen Weg forcierte oder entgegen meinem Bauchgefühl irgendwo verharrte, stellte sich bald heraus, dass es ein Irrweg ist.
Pippi Langstrumpf scherte sich nicht um für sie sinnlose, nicht nachvollziehbare Regeln und Verbote. Warum sollte sie sich Gedanken um die Zukunft machen, wenn es im Hier und Jetzt zu leben gilt. Frei nach „gibt Gott Häschen, gibt Gott Gräschen“ lebte sie fast in den Tag hinein und es war trotzdem ein Leben, voller Erfüllung, Freude, Lachen und Glück. Ein Märchen, welches wohl kein Kind nicht berührte.
Dürfen wir „Großen“ nicht mehr an solche Märchen glauben? Wie viel von Pippis Lebenseinstellung ist lebensmachbar? Ist es nur unser Kopf, der uns einen Strich durch die Rechnung macht, indem wir immer wieder mit unserem Schicksal hadern? Sollen wir es annehmen, den Willigen führt schließlich das Schicksal und nur den Unwilligen zerrt und zehrt es dahin?! Oder sollen wir es anpacken? Aber wie? Was, wenn das Herz schreit: Verändere! Steh auf! So kann es nicht weitergehen! Und gleichzeitig der Verstand nach Sicherheit wimmert. Dieser achso starke eigene Verstand wird auf einmal schwach, gegängelt, fremdbestimmt. „Das kannst du doch nicht tun! Denk an deine Zukunft“ – wie hofft hören wir das in unserer Kindheit, Jugend, unserem ganzen Leben?! Gib nicht auf! Wirf nicht hin! JA verdammt, aber wie hoch ist dann der Preis, wenn man durchhält, nachgibt, es mit sich machen lässt und dafür nichts als ein fremdgesteuertes, schlechtes Gewissen mit sich herumschleppt. Wie aberwitzig! Sollen wir doch auf unser Herz hören?! Und wenn wir es tun, wird es verdammt.
Genau das ist EGO! Zu wissen, was für einen selber richtig ist! Das muss nicht bedeuten, dass einem der Rest der Welt, die Bedürfnisse und Verpflichtungen anderer egal sind. Ich bin überzeugt davon, dass man auch egoistisch leben kann, ohne seinem Umfeld damit zu schaden; nein, sogar nützen! Wenn jeder wieder ein bisschen mehr sein ICH kennenlernt, spürt, was ihm gut tut, ihn entlastet, dann strahlt er es aus, reißt andere mit. Wollen wir uns nicht alle mit Menschen umgeben, die glücklich sind, gelassen, authentisch, in sich ruhen? Ist das vielleicht der Maßstab für ein glückliches Leben, für die Sonne im Herzen, die manchmal abhanden kommt und unvermittelt wieder auftaucht?
Viel zu viele Fragen, keine Antworten. Nur das tiefe, sichere und innerste Bedürfnis, wieder die Gelassenheit, Ausgeglichenheit und Ruhe zu finden.
Und dabei frei sein, wie Pippi Langstrumpf.