Stolze Ossis und böse Wessis

Ein älteres Ehepaar, so knappe 70, steht vor einem Abbruchhaus und schaut zu, wie der Bagger zuschlägt. Das marode Gebäude wird abgerissen. Die Herrschaften unterhalten sich, sind sichtlich aufgebracht. Nur Wortfetzen dringen durch: „Wessis … Ossis … machen alles kaputt … Kaufen auf …“. Ich schalte auf Durchzug und die Dame spricht mich an. Ob ich wüsste, was aus dem Grundstück wird. Als ich verneine, legt sie los: „Das haben bestimmt die Wessis gekauft. Die kaufen hier alles auf, machen krumme Geschäfte und ziehen uns über den Tisch“ tönt sie und wartet offensichtlich auf meine Zustimmung. Mir schwillt der Kamm und es kostet mich größte Überwindung, nicht loszulegen. „Livia, bleib ruhig“, denk ich mir so und mir rutscht heraus: „Ich komm auch aus dem Westen“. Stimmt zwar nicht ganz, aber den Großteil meiner Lenzen verbrachte ich immerhin als Bundesbürgerin, denn zur Wende war ich 14. Die Dame schnappt sich ihren Gatten und zieht schnaubend davon. Offensichtlich wurde ich zum Feindbild auserkoren.

Keine Ausnahme, mehrfach erlebte ich in hiesigen Gefilden, wie präsent die Ossi- Wessi-Diskussion hier noch ist. In einer Kneipe – ein Mann, der mit dem Satz „Ich bin stolz, ein Ossi zu sein“, punkten wollte und damit bei mir so richtig Minuspunkte sammelte. Es ist mir so was von sch…egal, wo ein Mensch herkommt. Soll das ein Qualitätsmerkmal sein, oder was? Macht uns die Geburt auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetischen Besatzungszone automatisch zu sympathischeren Menschen oder gar besseren Liebhabern (jajaja, auch diese Gerüchte hörte ich)? Möge es mir jemand erklären. Jede Zeit hatte ihre guten und schlechten Momente. Und ganz ehrlich, für mich hatte die Zeit vor 1989 nichts Positives, dem ich hinterhertrauer. Ich gönne es jedem, der den angeblich größeren Zusammenhalt kennenlernen durfte. Aber ich frage mich auch, was selbige davon abhält, diesen Zusammenhalt im Hier und Heute zu kultivieren?!

Jedesmal kostet es mich liebe Mühe und mitunter enorme Selbstbeherrschung, nicht loszuwettern, mich rauszuhalten, wenn die Weisheiten des guten Ossi über den bösen Wessi kundgetan werden. Nicht immer gelingt es mir und mit einem abschätzigen Anti-Zonen-Spruch zieh ich mich sicher nicht immer mit Charme aus dem Gespräch. Aber ich kann es nicht glauben, dass es 24 Jahre nach der Wende immer noch aktuell ist. Müssen wir mit der DDR-Zeit die gleiche Zeitpanne einkalkulieren, die wir uns für die Büßerzeit nach dem Nationalsozialismus gönnen? Ohne mich, lieber wieder im Hier und Jetzt!

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