Wo sind die Gothaer Popstars?

Das war mal ein Presse-Vor-Ort-Termin vom Feinsten – schon lange freute ich mich darauf. Die legendäre Castingshow Popstars mit Detlef D! Soost, dem legendäreren Popstars-Urgestein und Casting-Helden unzähliger bezaubernder Teeniegirlies machte Halt in Gotha. Was für eine Ehre für ein solches Provinznest, in der immerhin 10. Staffel sind wir dabei! Den Duft der großen weiten Welt spürte ich schon durch Gotha wehen, bevor ich um die Ecke zum Capitol schritt. Das Auto wurde extra weit abseits geparkt, da Hundertschaften von Gesangstalenten, Beamte des Ordnungamtes und Sicherheitskräfte der Polizei das Areal rund um das Kino sicher für Stunden unbefahrbar belagern. Die schwere Kameraausrüstung geschultert, neue Akkus in den Batteriehandgriff eingelegt, damit die Kapazität auch für bis zu 8 Bilder pro Sekunde ausreicht, den Leitzahl-48-Superblitz aufgesteckt, um alles ideal ausleuchten zu können, ein Block in der Hand mit ausreichend Platz für Fakten, Fakten, Fakten, einen Stift, der die finale Schreibprobe vor einer Minute noch mal bestanden hat und im Hinterkopf der Gedanke: Das wird eine Top-Story für den Leitartikel. Schon sah ich in Gedanken eine bezaubernde 16-Jährige, in Begleitung ihrer besten drei Freundinnen und der stylischen H&M-gekleideten Frau Mama, die die Einverständniserklärung unterschreibt und sich sicher ist, dass Chantalle-Charleece das größte Gesangstalent aller Zeiten ist. Vor der Tür stehen knapp 1000 kreischende, pummelige, clearasilgeschädigte oder aufgebrezelte Teenager. In ihren Zahnspangen spiegelt sich mein Superblitz. Sie schubsen sich vor die Kamera und sind geradezu willig und bereit, Auskunft zu geben und ihr Gesangstalent bereits auf der Straße unter Beweis zu stellen. Zarte Rehlein kurz vor Ende der Pubertät schminken sich auf Mitte Zwanzig, tragen viel zu kurze Röcke und Bauchfrei-Tops und ich frier immer noch bei 10 Grad in meiner dicken Winterskijacke. Aus dem Fenster des ersten Stockes filmt das Kamerateam von Pro Sieben, Detlef Ausrufezeichen Soost winkt und lässt sich frenetisch feiern, ohrenbetäubendes Gekreische „Popstars, Popstars“. Alle Provinzfotografen und sogar die großen Presseagenturen reißen sich um die besten Plätze und suchen Exkusivinterviews … Ach, was für ein journalistisches Kopfkino … Voller Erwartung biege ich von der Marktstraße kommend in die Pfortengasse, lausche, ob ich erstes Gekreische vernehme und sehe und höre … NICHTS, NICHTS und NOCH MAL NICHTS. Ich bin mir sicher, ich muss mich im Termin geirrt haben und schlendere enttäuscht und ernüchtert am Kino vorbei, schau rein und sehe die Kollegen, die sich wohl auch im Tag geirrt haben, winken. Naja, nen Schwatz kann man ja mal halten. Ich schlendere ins Kino und siehe da: ES IST CASTING! Stellt euch vor, es ist Casting und keiner geht hin?! Da sitzt eine nette und superwichtige Dame mit Gianna-Nannini-Stimme, voll verkabelt hinterm Tresen, zwischen Ordnern, Laptop und Handy und wartet … und wartet … und wartet. The one and only Detlef (IHHH) Soost kommt natürlich nicht zum casten in die Provinz, hätte ich mal anständig recherchiert… Aber drei sympathische Journalistenkollegen sind ja auch noch da und hatten die gleiche Idee wie ich: fette Profikamera mit Superblitz dabei, um diesen historischen Moment festzuhalten.

Zwei hübsche Teeniemädchen huschen kichernd vorbei und „wollen nur mal schauen“, auch sie hatten offensichtlich mehr Nachmittagsunterhaltung hier erwartet. Vor der Tür patrouillieren ein wenig erstaunt die Vertreter von Ordnungsamt und Polizei und suchen die Massen kreischende Teenager, die es zu bändigen gilt. Wer hat eigentlich vergessen, den Rettungswagen vorsorglich zu rufen? Die Tageszeitungsschreiberlinge machen das Beste draus, entlocken der Gianna-Nannini- Tresendame die Hardfacts und Softinfos, fotografieren sie notgedrungen mit dem wichtigen Ordner in der Hand. Sie spricht vom größten Casting überhaupt mit unglaublichen 200.000 Teilnehmern (in Worten zweihunderttausend, nein ich habe nicht zwei Nullen versehentlich oder gar effekthascherisch drangehängt). Nach 30 Minuten truller ich wieder nach Hause. Mit Grinsen im Gesicht denke ich mir so auf meinem Weg in heimisch-bergische Gefilde: vielleicht ist es ja auch ein Zeichen von Vernunft unserer Jugend, die nicht heimlich-unheimlichen Träumen hinterher hechten, sondern wissen, worauf es ankommt im Leben. Ich beschließe, einen Zwischenstop im „Schnell-Imbiss-Restaurant zur Goldenen Möwe“ an der Autobahn einzulegen, mir einen McCafe auf Gutschein zu gönnen und mit dem Laptop auf dem Schoß, dieser Erfahrung des Tages Zeilen zu verleihen …

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