Neulich rief außerhalb meines Blickwinkels ein Mann „Rasputin“ und ich dachte mir so: Was für ein passender Name für ein hässliches, überdimensioniertes, haariges Biest auf vier Beinen mit struppig grauem Fell – eine Kreuzung aus Hyäne und Wolfshund. Ich drehte mich um und sah den wahren Namensträger – einen ungefähr vierjährigen, niedlichen Jungen! Mein Mitleid mit der armen Kreatur auf zwei Beinchen war unbeschreiblich!
Ein beleidigender und lächerlicher Vorname verletzt doch das Persönlichkeitsrecht eines Kindes! Immer wieder müssen Gerichte entscheiden, weil Standesbeamte mit ihrer Entscheidungsfreiheit überfordert sind.
Unser deutsches Namensrecht ist nun glücklicherweise nicht halb so kulant wie das in Gottes auserkorenem Land: Amerikaner, die über die Grenzen von John und Hillary denken, geben ihren Kinder ungeschoren die Namen von Automarken, Städten, Landschaften, Comic-Helden und zur Not gehen auch Promibälgernamen wie Apple, Zuma Nesta Rock, Harper Seven oder Suri (japanisch für Taschendieb).
Deutsche Eltern dürfen da nicht so kreativ sein und landen nicht selten vorm Kadi: Familiennamen, geographische Namen oder Adelstitel sind tabu. Aus dem Namen muss eindeutig das Geschlecht ableitbar sein. Das hat vor allem den Vorteil eindeutiger Geschlechtszuweisung für Nichteingeweihte, wenn Papa mit Platte dem kleinen Erbschleicher eine lange Hätte-ich-auch-gerne-Matte wachsen lässt.
Ab zwölf Vornamen darf der zuständige Standesbeamte ebenfalls in den Streik der eh schon üblichen beamtlichen Untätigkeit treten. Nach Pepsi-Carola Bavaria Cheyenne Sunshine Sonne Rapunzel Geertje Dakota-Savannah Kiana Lemetri und dem passenden Nachnamen Schmidt ist einfach mal Schluss für die Tochter. Ja, diese Namen sind alle zugelassen! Es soll auch Gerichte geben, die bereits nach fünf Vornamen die Reißleine im Sinne des Kindes ziehen. Dem erstgeborenen Bruder, Sohn und Thronfolger muss es nicht unbedingt besser ergehen, ihm dürfte folgendes grenzüberschreitendes Namensgut angetan werden: Singh Wanek Chenekwahow Migiskau Leonardo da Vinci Franz Pumuckl Winnetou Napoleon Waterloo Schmidt.
Da fragt man sich als Außenstehender, ob der arme Knabe mit Kevin-Justin-Jeremy nicht besser bedient wäre, auch wenn sich unter Psychologen und Pädagogen weiterhin hartnäckig die Vermutung hält, dass Kevin kein Name, sondern eine Diagnose ist.
Die Süddeutsche berichtete unlängst über die Masterarbeit der 24-jährigen Oldenburger Lehramtsabsolventin Julia Kube in Zusammenarbeit mit der Pädagogikprofessorin Astrid Kaiser. Sie befragten Grundschullehrer übers Internet zu ihren Namensvorlieben: „Welche Vornamen würden Sie Ihrem Kind auf keinen Fall geben?“ und „Nennen Sie Namen, die bei Ihnen Assoziationen zu Verhaltens- auffälligkeit hervorrufen!“, Kaiser und Kube stellten fest: Grundschullehrer halten Kinder mit den Namen Kevin, Chantal, Mandy, Justin oder Angelina für weniger leistungsstark, dafür aber verhaltensauffälliger als alle Charlottes, Sophies, Maries, Hannahs, Alexanders, Maximilians, Simons, Lukas‘ und Jakobs dieses Landes. Schon der Name offenbare nach Lehrermeinung die Herkunft und den sozialen Status eines Kindes.
Und wer in einschlägigen kostenlosen Anzeigenblättern und unter nullhundert- neunzigundsexmaldiesex-Ruf-mich-an! die Vornamen studiert, würde seine Tochter sicher nicht Scharlies, Scheijenn oder Schantall rufen.
Zum Glück gibt es ja die Gerichte der Bunten Republik Deutschland, die im Zweifel Namen wie Lenin, McDonald, Ogino, Pillula, Störenfried, Schnucki, Grammophon, Atomfried, Schröder, Akropoli, Huckleberry, Puppe, Champagna, Porsche, Pfefferminz, Crazy Horse, Möhre, Millenium, Woodstock, Traktora und Bierstübl verbieten. Auch M. ist nicht zulässig. Noch nicht abschließend recherchiert habe ich, ob O. vertretbar wäre, schließlich heißt eine unter belesenen Männern beliebte Romanheldin auch so.
Aber zurück zu den armen Kreaturen auf zwei kurzen Beinchen: So schwer kann es doch nicht sein, dem Frischling einen Namen ohne Apostroph und Accent circon%exe zu geben, damit auch Legastheniker ihn schreiben und lesen können und sogar Oma diese Anreihung von Buchstaben über die Lippen bringt.
Positiv betrachtet führt die Namensvielfalt zu fröhlichem Zeitvertreib auf der Autobahn. Dort pappen nun nicht mehr die Böhsen Onkelz oder MiStStÜcK, sondern die phantasievollen Namen der Bälger an der Heckscheibe. Da %ießen Lachtränen im Anbetracht der Namenswahl dieser hollywood&lmgeschädigten Mom ́s und Dad ́s.
Und eines sollte man sich als namensgebendes Elternteil einfach mal fragen: Würde ich meine Eltern dafür verklagen, weil sie mir diese Schande auf meiner Geburtsurkunde verzapft haben?
Ein neunjähriges hawaiianisches Mädchen klagte 2008 in den USA erfolgreich gegen ihre Eltern. Diesen wurde aufgrund des Vornamens „Talula does the Hula From Hawaii“ das Sorgerecht entzogen.
Übrigens prüft die Namensforschungsstelle an der Universität Leipzig in einem bis zu 40 Euro teuren Gutachten, ob die ausgefallene Vornamens-Vorstellung genehmigungsfähig wäre.