Mein erstes Mal…

Zu gerne würde ich gerade die kulleräugige Erwartungshaltung in deinen Augen sehen, den leicht geöffneten Mund des Erstaunens und einen Hauch des Kopfschüttelns in Erwartung schlüpfriger Details. Leider muss ich dich und die werte Leserschaft enttäuschen. Es sind nur harmlose „erste Male“. Ich frage mich ja regelmäßig:

Wann hast du zum letzten Mal etwas zum ersten Mal gemacht?

Und da diese ersten Male in den letzten Wochen nur hälftig prickelnd waren:

1. das erste Mal seekrank

2. mein erstes Teak aufbereitet (okay, immerhin hats Spaß gemacht)

3. mein erster Fremdling, der versuchte, des Nächtens widerrechtlich das Boot zu betreten, auf dem ich grad alleine nächtigte

4. meine erste BlaBlaCar-Fahrt alleine (wie wunderbar, hallo an Belen, falls du das liest, es war wunderbar mit dir)…

musste mal was richtig aufregendes her.

Ich hege ja immer noch aktive Weltreisepläne. Das mit dem dauerhaften Mitsegeln wird wohl nur immermal irgendwo und irgendwann und mit irgendwas und irgendwem eine Teilzeitlösung sein. Außerdem lungern auf der Bucketlist Ziele herum, die nur subideal per Boot zu erreichen sind. Zeit für alternative und günstige Landrattenlösungen.

Und das Studium diverser Hotelangebote offenbarte mein neues erstes Mal. Es versprach Abenteuer, Überwindung, neue Horizonte. Vor allem jedoch Sparpotential. Und davon reichlich:

Hostels!

Ja, richtig gelesen. Wer mich gut kennt, der weiß, dass ich eigentlich eine unerträgliche Schlafterroristin bin. Ich will es

LEISE

DUNKEL

KUSCHELIG UNTER DER DECKE

EISIGE FRISCHLUFT, ABER NUR DURCH DIE NASE

KEINE ELEKTRISCHEN FELDER, ATMOSPHÄRISCHEN STÖRUNGEN ODER GAR EINGESCHALTETEN HANDYS

KEINE MENSCHLICHEN GERÜCHE, DIE NICHT MEINE SIND

KEINE TICKENDEN WECKER

VIEEEEEEEL PLATZ FÜR MICH ALLEINE, IDEALERWEISE 180×200

UND WENN JETZT BESCHEIDENERWEISE NOCH EIN WASSERBETT MÖGLICH WÄRE… PERFEKT

DAS sind sowas von offensichtlich die idealen Voraussetzungen für ein paar Nächte im Hostel…

In Anbetracht der Auswahl verließ mich der Mut zumindest bis zum Minimalverstand und ich widerstand einem spottbilligen Bett im gemischten 12er-Schlafsaal für 10 Öcken pro Nacht in Sevilla. In meinem Alter ist man sich ja mittlerweile der Gefahr bewusst, die von einem wildfremden Mann im Nachbarbett ausgehen könnte: Er könnte schnarchen!

Also wählte ich die Tussi-Luxus-Hostel-Variante für 30 Taler pro Nacht. Das 4er-Frauenschlafgemach.

Die Ankunft war genial. Supernetter Empfang, tolle Lage mit Dachterrassenblick auf die Kathedrale und zumindest augenscheinlich zwei nette Bettnachbarinnen: Ein unendlich schüchterne Kanadierin und eine holländische Lederhaut und Partymaus jenseits der 60. Was eigentlich nicht sein kann. Weil dieses Hostel extra darauf hingewiesen hat, dass man Gäste nur bis 50 aufnimmt. Aber ich schwöre, sie sah aus wie Mitte 60. Oder kurz vor 70. Vor allem, als sie sich das 1 cm dicke Make-up aus dem Gesicht kratzen musste, mit einem entschuldigenden Blick dazu und dem Spruch „Party until six“. Coole Socke, die Dame. Ich war zuversichtlich und wurde getröstet: unser Zimmer sei das ruhigste. Als ich dann platt genug war, den Schlaf zu wagen, bereute ich meinen Mut:

Auch Frauen können mörderlich schnarchen, es scheint normal zu sein, dass das ganze Zimmer die Handys anlässt und irgendeines piept und summt alle paar Minuten die Nacht durch. Die Rezeption hört schreckliche RapMusik und beschallt das ganze Haus damit. Vom Knallen der Türen, knarrenden Eisengitterdoppelstockbetten, muffigem Gestank, balzendem Weibergeqietsche, Koffer nach Mitternacht bei Scheinwerferlicht auf Links drehen, spätpubertärem Partyvolk und ellenlangen Haaren in der Dusche fange ich gar nicht erst an. Ich zumindest hörte ALLES aus ALLEN sieben Nachbarschlafsälen jenseits der 35 Dezibel.

Nach drei Stunden umherwälzen buchte ich. Ein Hotelzimmer für die nächste Nacht. Gleich um die Ecke. Ganz für mich alleine. Checkte des Morgens völlig übermüdet und zerknautscht dreifix aus und bezog mein neues Refugium. Und nun liege ich in selbigem um kurz vor zwei, mitten in der Nacht hier ebenso wach und hoffe, dass die Geräusche aus dem Nachbarzimmer nur anstößiger Art sind und irgendwann Ruhe ist. Oder schnarcht da jemand?!

Meine Weltreise in Hostels wurde jedenfalls definitiv abgewählt. Ich brauche Alternativen für günstige und sichere Übernachtungen.

Couchsurfing? Bin ich noch zu feige. Zelten? Hab ich noch nie, muss auf die Bucketlist. AirBnB? Auch nicht günstiger. Camper? Wollte ich erst mit 60+.

Bleib daheim ist keine Alternative. Ich stopf mir mal die Ohropax in die Löffel, die das Hotel in weiser Voraussicht bereitstellt und versuche es mit einer Mütze Schlaf.

Schlaflos aus Sevilla, die Livia

Edit 2:24 Uhr: Die Müllabfuhr ist durch und jetzt kommen die Kehrmaschinen.

Edit 2:31 Uhr: Nachbar schnarcht.

Edit 2:38 Uhr: Ich vergaß zu erwähnen, dass Sevilla der OberOberOberHammer und jede schlaflose Nacht wert ist!

Edit 2:51 Uhr: Warum ist der Plural von Saal eigentlich Säle? Logisch wäre: Sääle… Und warum kann ich da nicht tagsüber drüber philosophieren?

One Comment

  1. Matthias

    Herrlich!! Deine Prioritäten.
    Ich habe mich gestern bei meiner Pho Bo gefragt, wie Du auf die Idee der Weltreise gekommen bist. Aha, das Erste Mal!!
    Hoffentlich gefällt Dir der Meerblick im Lucky besser als das Hostel in Sevilla.
    Hẹn gặp bạn ở Hà Nội

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