Quo vadis, schreibende Zunft?

Ich mochte es schon immer zu schreiben, in vielen Situationen kann ich eigene Befindlichkeiten besser tippen als sagen. In mein Chaos aus Texten, Gedichten und Geschichten sollte Ordnung einkehren. Ich wollte lernen, wie man es richtig angeht, mich entwickeln, die Herausforderung suchen. Für mich Lebenskurvenläuferin lag ein geradliniger Weg auf einer weiteren Lebensetappe vor mir. Bewerbung um die Aufnahme an der Freien Journalistenschule, Fernstudium, in halber Zeit durchgezogen und rein ins Vergnügen.

Seit knapp drei Jahren bin ich nun auf der Suche nach Geschichten, nach Menschen, Ereignissen. Und wenn ich so zurückblicke, bin ich überrascht, wie viele Menschen ich auf diesem Weg kennenlernte. Manche vom Schicksal gezeichnet, lustige Vögel, auch schräge Zeitgenossen. Solche mit ganz viel Herz und/oder Verstand. Manchmal war ich vielleicht zu zurückhaltend, hätte nachbohren müssen, provozieren, aus der Reserve locken. Aber eigentlich liegt mir das nicht. Klar bin ich frech. Aber meistens begegnen mir wildfremde Menschen, auf die ich Rücksicht nehme. Mir steht es doch nicht zu, ihnen zu nahe zu treten, damit sie vielleicht unüberlegt mit etwas herausplatzen, was Schlagzeilen liefern könnte. Für mich ist das eine Frage von Respekt, für Branchengrößen zeugt dies wohl von meinen mangelnden investigativen Fähigkeiten. Eigentlich höre ich lieber zu, nehme mir Zeit. Wenn man Aufwand und Nutzen berechnet, ist es wohl auch mal zuviel. Aber kann man wirklich Geschichten aus dem Leben schreiben, wenn bei einem Termin nach 30 Minuten die Erinnerungsfunktion im Handy das Gespräch abwürgt? Das will ich nicht, also pflege ich da meinen Trotz und plane den Tag so, dass ich mich wohl fühle, beim Gegenüber nicht das Gefühl entsteht, ich sei eigentlich auf der Flucht und nur wegen drei Zeilen und einem Bild auf der Durchreise hier. Und ich glaube sogar, dass mir diese gelassene Einstellung mitunter tiefer gehende Informationen einbrachte.

Aber nun landete eine E-Mail in meinem Postfach, die mir Sorgen bereitet. Ein Pressedienst unterbietet ein Angebot für redaktionelle Dienstleistungen pauschal zum halben Preis. Chefredakteure brauchen nur noch mitteilen, wie sie bisher einen Text oder eine Druckseite honorierten. Der Pressedienst vertraut diesen Angaben blind und stellt beispielsweise Jugend- und Kinderseiten, solche übers Reisen, Rätsel, Horoskope oder Cartoons etc. zur Verfügung. Nicht mal einen Vertrag muss der Verlag eingehen und die Dumpingpreise werden für eine Laufzeit von drei Jahren garantiert. Das Unternehmen agiert international und spart wohl durch massenweise Mehrfachverwertung an Kosten.

Aber wie hoch ist der tatsächliche Preis? Vor allem – wie hoch ist der Preis, den die Leser zahlen? Wollen Leser tatsächlich in ihrer Zeitung, ihrem Magazin Austauschbares finden, Seiten, die Leser in Hamburg, Amsterdam oder Rom ebenso lesen könnte? Ist nicht gerade der lokale Journalismus von großem Interesse?

Immer wieder erreichen uns Journalisten Hiobsbotschaften über Redaktionen, die schließen müssen, von Kollegen, die entlassen werden.

Aber mein, unserer Berufsstand, ist in Gefahr. Es geht um den Wert meiner, unserer Arbeit. Auch um das Verständnis der Leser dafür, dass man hochwertige Texte nicht umsonst über die diversen Suchmaschinen in Internet bekommen sollte.

Das weltweite Web ist ein wundervolles Arbeitswerkzeug, unsere Plattform für Recherchen, Kontakte, Rückmeldungen. Aber auch missbraucht als Konkurrenz – durch kostenlose Angebote.

Bürgerreporter füllen Mitmachportale mit Texten, die für jedermann und umsonst zugänglich sind. Natürlich ist ein Bürgerreporter kein Journalist. Aber er publiziert. Geht er mit seiner Veröffentlichung das gleiche „Risiko“ ein wie wir? Müsste er sich gegebenenfalls Schadensersatzforderungen stellen, wenn er zu Unrecht Behauptungen aufstellt? Werden Bürgerreporter genauso wie Journalisten zur Rechenschaft gezogen, wenn beispielsweise Bild- oder Persönlichkeitsrechte verletzt werden? Das ist natürlich die Ausnahme in unserem Berufsleben. Dennoch frage ich mich: Gelten für Bürgerreporter die gleichen Pflichten wie für uns Journalisten? Warum erhält ein Bürgerreporter kein Honorar, wenn der Text in einer Zeitung oder einem Anzeigenblatt landet? Warum sollten Verlage, die solche Zuarbeiten drucken, weiterhin die Arbeit von Journalisten honorieren? Was ist mit Unabhängigkeit, sauberer Recherche, der Verpflichtung zur Wahrheit, dem Respekt vor Privatsphäre?

Sind Praktikanten bald ein vollwertiger Ersatz? Zwischen Nixverdienen und Hungerlohn ackern sie Vollzeitwochen. Hochmotivert. In der heimlich Hoffnung auf eine Festanstellung. Oder einen Honorarvertrag. Bis der nächste Freiwillige an der Tür klopft und seinen Sklavendienst verrichten mag. Radiosender wie *oops* (fast hätte ich mir Ärger eingehandelt), rekrutieren bis zu 30% ihres Personals aus Freiwilligen. Nach drei Monaten dürfen selbige abtreten und werden durch Frischfleisch ersetzt. Die Medienwelt ist im Umbruch. Der Wandel kündigte sich schon lange an. Ich scheue mich nicht davor, bin gespannt, wohin der Weg geht. Ich vertraue immer noch dem Verstand des Lesers, der unterscheiden kann zwischen Texten mit Tiefe und massenkompatiblen Müll. Journalisten sind da in ähnlicher Lage wie Handwerker: Malern, Tapezieren, Fliesen legen kann jeder mit etwas handwerklichem Geschick. Aber Meisterwerke gelingen so in den seltensten Fällen. Flotte Schreibe und ein Mindestmaß an korrekter Rechtschreibung und Grammatik ergeben keinen Meistertext. (Was natürlich nicht heißen soll, dass jeder journalistische Text in die Kategorie „Egon-Erwin-Kisch-Preis-verdächtig“ gehört!) So wie jeder Berufsstand einem steten Wandel unterliegt, müssen auch wir uns drehen, Neues wagen, Rückschläge einstecken und aus engen Sackgassen im Rückwärtsgang wieder rauskommen.

Dennoch: meine Entscheidung ist getroffen, ich bleibe auf meinem Weg, egal wie kurvig er ist und egal, ob es Menschen gibt, die glauben, es wäre ein Irrweg.

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