„Laterne, Laterne, Sonne, Mond und Sterne …“ Tausende Kinder zogen singend zum St. Martinstag durch die Gassen der Dörfer und Straßen der Städte. Trafen sich nach dem Umzug an zentralen Plätzen ihres Zuhause. Die Kleinen aßen ein Martinshörnchen und ihre Eltern wärmten sich mit einem Glühwein von innen auf.
2013 schoss ein Kindergarten in Bad Homburg den Vogel ab. Da wurde der Martinsumzug umbenannt. In Sonne-Mond-und-Sterne-Fest. Anfangs glaubte ich noch an einen Scherz. Passt ja auch zum 11.11., wenn sich die Narren wieder aufs kollektive Lustigsein bis sechs Wochen vor Ostern vorbereiten. Aber diesmal war es ernst. Bitterernst. Integrationsernst. Benachteilige doch dieses christliche Martinsfest Vertreter anderer Religionen. Kleine muslimische Kinder würden ausgegrenzt! Jüdische Lütten nicht integriert. Atheisten in ihrer Antireligionsfreiheit beschnitten und wasweißichauchimmer … Noch ein Weilchen wagte ich zu glauben, dass es sich um einen blöden Scherz handelt.
Wir Deutschen haben aber wohl doch immer noch ein historisches Problem. Und eigentlich darf man da nicht drüber reden. Sich vor allem nicht lustig machen. Denn sofort steht man auf der Abschussliste – wird zum Nazi, Antisemit, bestenfalls Ewiggestrigen degradiert. Aber nun ist Schluss mit lustig! Als dieser FeminIstInnenQuatsch aufkam habe ich geschwiegen und mich beharrlich geweigert, immer und überall dieses „Innen“ an jegliche geschlechtszweideutige Worte zu schreiben. Nie hätte ich über Witze gelacht, die irgendeinen Bezug auf den Nationalsozialismus hatten. In einer Moschee ziehe ich selbstverständlich die Schuhe aus, bedecke meine Schultern, Kopf und Knie, ebenso in den unzähligen Tempeln Asiens, die ich besuchte. Ich bin wirklich bereit, mich auf andere Kulturen einzulassen. Nicht vor den Kopf zu stoßen. Ihnen zu signalisieren, dass ich Toleranz übe. Das geht soweit, dass ich im arabischen Raum alte christliche Kirchen anschaute, in denen Ziegen unterkamen und schwieg. Dass ich kopfschüttelnd zur Kenntnis nehme, wie Anhänger meines Glaubens, meiner Kultur, in fernöstlichen Ländern verfolgt, ermordet werden. JA, es ist die Ausnahme. Dennoch: Es passiert.
Und was machen wir? WIR INTEGRIEREN, mehr als es je jemand von uns erwartet! Schauen uns unsere Traditionen, unsere Kultur, unsere Religion an und fragen uns – wem treten wir damit auf die Füße? Wer fühlt sich benachteiligt? Das gehört abgeschafft. Ja, sagt mal, spinnt ihr? Welcher Muslim würde den Ramadan in „euroasiatischamerikanischafrikanisches Fastenfest“ umbenennen? Welcher Inder sein „Holi Gulal“ in einen „Wir-bewerfen-uns-mit-quietschbunten-Farbbeuteln-Party“. Jede Kultur dieser Welt könnte ich gerade wortgewandt in meine Sprachdrechselei integrieren. Ist aber auch wurscht!!! Keine andere Kultur würde sich so weit herablassen, ihre eigene Kultur, Religion und Geschichte zugunsten einer Pseudointegration zu opfern. Noch schlimmer – Kindergartenkinder zu solch einem gemachten Unsinn anzustiften. Anstatt die kleinen Moslem, Christen, Juden und Hindu in einen montessorisch-walddorfpädagogisch angehauchten Stuhlkreis zu setzen und herauszufinden, was uns eint und was uns unterscheidet, geben wir einen Teil unserer Geschichte auf? Mir ist nicht einmal bekannt, dass irgendein Muslim das gefordert hat. Im Gegenteil, ich kann mich an Gespräche mit Iranern und Türken erinnern, die mich fragten, warum wir so wenig stolz auf uns sein können. Bevor an dieser Stelle auch nur der Hauch eines Verdachtes aufkommt – ich fühle mich als Kosmopolit und warum entschuldige ich mich auch gerade? Dieser verdammte zweite Weltkrieg endete vor 68 Jahren. Menschen jenseits der 80 erinnern sich daran, lassen uns am Elend dieser Zeit teilhaben. Das, was geschah, will ich nicht in Abrede stellen! Aber wir Deutschen tragen keine Generalschuld auf Generationen mit uns herum. Für die Gräueltaten meiner Urahnen bin ich nicht verantwortlich. Ich lebe in einer parlamentarischen Demokratie, die durch Gesetzgebung und Gewaltenteilung viel absicherte, dass es kein Viertes Reich geben wird. Ich muss nicht die Schuld meiner Ahnen abarbeiten, indem ich versuche, die halbe Welt zu integrieren. Vielleicht ist das Argument auch zu weit hergeholt? Gibt es andere Gründe für unser überintegratives Verhalten? Mag sein, den Interpretationsraum überlasse ich dem Leser. Mir ist nur kein Volk auf der Welt bekannt, welches sich so schuldig fühlt und für etwas entschuldigt, was es selber nicht verzapft hat. Aufarbeitung ist richtig. Eine offizielle Entschuldigung ebenfalls. Aber irgendwann sollte die Geschichte doch einmal ruhen? Wer frei von Schuld ist, werfe den ersten Stein. Ob das Siedlungsbauer im Westjordanland sind oder Christenmörder in Asien und Nordafrika. Im Hier und Jetzt geschieht das Unrecht von Heute. Und darum zu kümmern, sollte uns reichlich auslasten. Vergangenheiten arbeiten wir nicht auf, indem wir unsere Geschichte opfern, verleugnen, uns dem Rest der Welt anpassen. Wir werden es sowieso nicht jedem Recht machen.
Ich hoffe nur, dass ich nie wieder so viel Blödsinn in den Hauptnachrichten zur besten Sendezeit hören muss. Dass diese superhyperkorrekten deutschen Eltern 2014 ihr Hirn einschalten. Einen tollen Martinsumzug auf die Beine stellen. Für St. Martin, in Erinnerung an Martin von Tours Grablegung im Jahre 397. Das Fest zählt zu den ältesten Brauchtümern unserer Breitengrade. Alle Kinder eines Ortes sind dazu eingeladen, gemeinsam eine Laterne zu basteln und meinetwegen auch ein halal-koscheres Hörnchen zu essen … Wer nicht kommen mag, auch dem sei es gegönnt.
Ach ja, der Kindergarten in Bad Homburg ruderte nach einem Shit-Storm zurück. Alles war ja irgendwie anders. Polizeischutz bekam der Umzug daraufhin und eine fette Presse- und Medienmeute versammelte sich. Als PR-Journalistin würde ich sagen – was für eine gelungene PR-Kampagne, leider ist es für eine KiTa dieser Art schlicht peinlich. Und wenn daraus nur gelernt wurde, dass Weihnachten, Ostern und Co. Unangetastet urchristlich bleiben, dann bin ich zufrieden und trage sie in mir, die Sonne im Herzen.