„Ich kann nichts mehr essen und trinken. Jedes Mal, wenn ich versuche zu schlucken, habe ich das Gefühl, mir schnürt es den Hals zu, ich ersticke“, sagte Sandra zu ihrem Arzt. Seine Antwort war ein Aha-Erlebnis auf Lebenszeit: „Was ist passiert, als Sie beschlossen haben, etwas nicht mehr hinzunehmen, sich zu wehren, also ES nicht mehr einfach herunterzuschlucken?“ Sandra brauchte nicht zu antworten, wie ein Film liefen vor ihrem geistigen Auge Szenen der nahen Vergangenheit ab. Eine schwere Kindheit, Ärger im Beruf, mit ihrem Partner, der Familie … Alles war im Argen und bevor ihr Kopf verstand, was mit ihr geschah, wehrte sich der Körper. Sie wollte ihr Leben nicht mehr so hinnehmen und beschloss, es müsse sich etwas ändern. Die Angst vor dieser Veränderung, der Respekt vor dem eigenen Mut schnürte ihr förmlich den Hals zu.
Vor vielen Jahren schilderte mir meine Freundin Sandra diese Situation und sie war auch für mich fast eine Erleuchtung. Schlagartig fielen mir Redewendungen ein, mit denen wir körperliches und seelisches Unwohlsein ausdrücken:
Ich hab die Nase voll!
Das schlägt mir auf den Magen! Mir grummelts im Bauch!
Mir läuft gleich die Galle über!
Ich fahr aus der Haut!
Es nimmt mir die Luft zum Atmen! Mir bricht es das Herz!
Unsere Sprache kennt diese Redewendungen zur Genüge. Ohne den tiefen Sinn zu verstehen, verwenden wir diese und rennen trotzdem zum Arzt. Die volle Nase wird mit Nasenspray wieder frei. Magentabletten sollen die angegriffene Magenschleimhaut heilen. Gegen Bauchgrummeln helfen Dulcolax und Co.. Gallentropfen, Cortison, Antibiotikum, Antihistaminika, Beta-Blocker … und … und … und. Es gibt kaum ein Mittelchen, das es nicht gibt. Jedes einzelne, noch so winzige Körperteil kann mit den Produkten der pharmazeutischen Industrie „geheilt“ werden. Über 30 Milliarden Euro setzt die Pharmaindustrie allein in Deutschland um. Ich fang hier nicht mit Verschwörungstheorien an und stell auch nicht in Frage, ob es Krankheitsbilder gibt, bei denen die chemische Keule vonnöten wäre. Die Diskussion, wo Heilung ansetzen sollte, spaltet Mediziner und Naturheilkundler.
Nein, es geht um die „Wehwehchen“, die offensichtlich einen tieferen Ursprung haben
– unser Inneres. Warum werden wir denn ausgerechnet dann krank, wenn wir eh schon angeschlagen sind, völlig überdrehen, das Chaos uns über den Kopf steigt? Ist es nicht wundervoll, dass wir einen Körper haben, der dann die Notbremse zieht und uns ins Bett zwingt? Was passiert, wenn wir solche Signale ignorieren, dennoch arbeiten, uns fitfüttern mit diversen Übertag- und Übernachtheilmittelchen? Es geht uns nicht gut, wir fühlen uns unwohl, sind eh nicht voll leistungsfähig und verschleppen den ganzen Mist im Zweifel Wochen und Monate. Immer wieder bricht es aus und legt uns lahm. Dann doch lieber gleich ein paar Tage ins Bett und durchschlafen?
Die Episode von Sandra war für mich schon fast heilend. Eine volle Nase lässt mich nun fragen: Wovon hab ich denn gerade die Nase voll? Bei Bauch- und Magengrummeln höre ich auf meinen Bauch. Wer sich wohl fühlt in seiner Haut, braucht nicht aus selbiger zu fahren. Sich eine Umgebung zu schaffen, in der man gerne lebt und arbeitet, lässt einen frei atmen. Sich mit Menschen zu umgeben, die dem Herzen gut tun, bricht einem nicht das Herz …
So einfach … Und doch so schwer.